Ein Paradoxon steht im Mittelpunkt der Netzkultur: das Versprechen, zugleich sehr persönlich und ganz anonym agieren zu können. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnen können, dass viele Leser dieses Blogs zum Beispiel, die sich in Kommentaren äussern, namenlos bleiben wollen.
Umgekehrt vermutet man „hinter” gewissen Seiten oft eine anonyme Macht und ist dann überrascht, wenn man die Macherin / den Macher als Einzelkämpfer kennen lernt. Eine solche Überraschung war es für mich, die Betreiberin der von mir täglich besuchten Filmlinkseite film-zeit.de gestern auf dem Podium zu erleben: Ines Walk. Dass hinter ihrem Projekt, dessen Geschäftsmodell ich nie hinterfragt habe, nicht nur viel Arbeit, sondern auch eine Menge Idealismus steckt, hat mich überrascht. Danke für die Mühe!
Man könnte in diesem Zusammenhang vielleicht von informationeller Solidarität sprechen, die der Netzkultur jenes Quentchen utopischen Glanz gibt, das die ökonomische Misere für den Moment vergessen macht. Auf lange Sicht aber lässt sich die Vielfalt, die wir heute erleben, nicht mit Idealismus allein erhalten. Ich denke, es wird Zeit für ein realpolitisches Erwachen, das die Hardware- und Kommunikationsindustrie (die ihre Geräte und Verträge mehr und mehr wegen „unserer” Inhalte verkaufen) zwingt, einen fairen Anteil ihrer Gewinne an die Urheber zu verteilen.
Das wird nicht ohne Kampf gehen, denn aus Sicht der Industrie ist die Situation natürlich traumhaft: man nimmt Eintritt für die Bühne (die User bezahlen für Computer, Anschluss und Nutzung), aber die Künstler spielen umsonst. Eine Umverteilung würde allerdings einen Bewusstseinsprozess voraussetzen, der die informationelle in eine robustere Form von Solidarität verwandelt, was notwendig auch mit einer Ent-Anonymisierung verbunden wäre.
Was könnte unsere Boston Tea Party sein?
Vielen Dank, Christoph, für das Lob. Gestern wurde es ja beschworen: Einfach machen! Für mich heißt dies, jetzt auch etwas mehr bei Blogs vorbeizuschauen und Funde in der Presseschau zu präsentieren. Die informationelle Solidarität streitet also voran. Lieben Gruß, Ines
AntwortenLöschenHallo Christoph,
AntwortenLöschenDas Paradoxon habe ich noch nie so gesehen, aber du hast völlig recht.
Menschen die Websites betreiben sollten außerhalb von Werbeeinnahmen Geld
bekommen, verstehe ich dich da richtig?
Soll dass heißen das ich Eintritt bezahlen soll für den Blog?
Oder dass es Ausschüttungen je nach aufrufen geben soll?
(Dann Geld von Hardwarefirmen)
Das wäre sehr manipulierbar, und glaube mir, bei der Anzahl an Websites international würde wohl eher die Pornoindustrie profitieren.
Die Spielregeln haben sich geändert.
Aber das Zugeständnis:
Wir Leben in einer bizarren Umbruchszeit der Kulturwaren in der das Wort Kompensation neu gedacht werden muss.
Zusammen mit dem perfekten digitalen Kopie, unstoppbaren Filesharing-Netzwerken
ist das alles ein Komplex der die Köpfe rauchen lässt...
Ein Projekt dazu:
http://vodo.net/
dein
Georg Boch
Hallo Georg,
AntwortenLöschenDeine Einwände sind alle berechtigt, aber das Problem muss früher oder später angegangen werden. Ich behaupte nicht, ich wüsste, wie. Es geht mir nicht darum, mit meinem Blog Geld zu verdienen. Aber der Netzjournalismus als Ganzes, der Journalismus den wir brauchen, verkümmert ohne eine neue Form der Vergütung. Eintritt zu verlangen ist zur Zeit unrealistisch und widerspricht auch dem „untreuen” Kern des Mediums, dem Link. Das könnte vielleicht diskutiert werden, wenn Micropayment einmal alltäglich geworden ist. Vorerst aber könnte man die Hardware- und Kommunikationsindustrie zu einer Abgabe „überreden”. Der Verteilungsschlüssel müsste eine Kombination von Kriterien (Verkehrsaufkommen + Verkehrsintensität + Bewertungsintensität + Bewertungsplatz) zur Grundlage haben. Über die Anteile müsste natürlich gestritten werden usw.
Sehr interessanter Link übrigens - aber ob man mit Freiwilligkeit ans Ziel kommt...?
Grüße,
C.H.
Ich fühle mich angesprochen durch die Bemerkung zum Kommentatorenverhalten im ersten Absatz ... Allerdings: Wenn ich einen Link zu meinem Blog hinterlasse, der sogar mit einem Impressum aufwartet, ist das alles andere als anonym.
AntwortenLöschenGeht es aber um Höflichkeitsformeln (Guten Tag, Auf Wiedersehen, gezeichnet Soundso), auf die ich im Alltag absoluten Wert lege, halte ich diese in der Textgattung Blogkommentar tatsächlich für überflüssig.
Die Intimität, die man als Betreiber zu seinem kleinen Netzauftritt entwickelt, täuscht vielleicht darüber hinweg, dass dieser auf eine - noch nicht erkannte - Weise öffentlich ist. Was als privater Salon gedacht war, kann auf einmal zur Agora werden, in der man als Betreiber nur noch eine Stimme unter vielen ist, Stichwortgeber. (Michail Bachtin hätte vielleicht Freude gehabt an dieser technisch-sozialen Implementierung seines Romankonzepts.)
Der Kommentar ist zum einen potenzielle Kränkung des Autorensubjekts, zum anderen aber Beleg einer Öffnung des Textes hin zu einem unbekannten Außen.
Oder eine Party, die von uneingeladenen Gästen zu etwas anderem gemacht wird, als man als Veranstalter geplant hatte. Ob die Party dadurch besser wird, ist eine andere Frage.
Trotzdem: Vielen Dank für den "Literaturhinweis"!
Der Unterschied ist vielleicht, dass die unbekannten Gäste auf der Party ein Gesicht haben und sich - wenn sie höflich sind - vorstellen. Im Übrigen wollte ich mich nicht beschweren, sondern feststellen. Die Tarnkappe oder zumindest die Unsicherheit über die Identität des Gegenübers gehört zur Netzöffentlichkeit...
AntwortenLöschenIch möchte darauf hinweisen, dass selbst in einer so prekären Nischenexistenz, wie der cinephilen, ästhetisch Linken Blogosphäre, trotzdem bestimmte Abhängigkeitsverhältnisse und Deutungshoheiten existieren, die die Anonymität vielleicht nicht überlebenswichtig, aber angenehm machen. Insbesondere dann, wenn man nicht durch Redaktionen und Institutionen "geschützt" und "gedeckelt" wird.
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