Im Gespräch mit Marie-Pierre Duhamel über Dialog im Kino habe ich einmal etwas steil formuliert:
„Es könnte interessant sein, diese Tendenz [gemeint ist der nachlässige Umgang mit Akzenten im Hollywoodkino] mit der Tradition akzent-sprechender Schauspielerinnen im NS-Kino zu vergleichen. Es ist ja auf den ersten Blick überraschend, dass die verstaatlichte Filmindustrie eines Systems, in dem Rassismus oberste Staatsdoktrin war, so viele mit Akzent sprechende Schauspielerinnen zu Stars gemacht hat. Als positive, verführerische Figuren. Zarah Leander, Christina Söderbaum, Marika Rökk gehörten zu den größten Stars der Nazi-Ufa. Nur Frauen, so weit ich sehe, was bestimmt kein Zufall ist. Frauen sind hier gedacht als Wesen, die korrigiert werden müssen. Shaws „Pygmalion” (…) bzw. „My fair Lady” lassen grüßen. Es grünt so grün. Diese Tendenz, zugleich für das Exotische zu schwärmen und es in der Wirklichkeit ausmerzen zu wollen hat sich ja im Nachkriegsdeutschland durchaus fortgesetzt.” (Nachzulesen in Revolver 38).
Weil ich mich gerade in der Recherche für ein Projekt mit dem (bundes-) deutschen „Schlager” beschäftige, muss ich kurz darauf zurückkommen. Denn es ist auffällig, wie groß die Rolle des Akzents wie auch der „exotischen” Themen in der Populärmusik hierzulande sind oder waren.
Die populärsten auf deutsch singenden Schlagersänger*innen zwischen 1960-80 kommen zum Beispiel aus Griechenland (Nana Mouskouri, Vicky Leandros, Costa Cordalis), Jugoslawien (Bata Illic), Tschechoslowakei (Karel Gott), Holland (Rudi Carell), Dänemark (Gitte Hænning), Norwegen (Wencke Myhre, Kirsti Sparboe), Frankreich (Mireille Mathieu, Caterina Valente), Libanon/Frankreich (Ricky Shayne), Tunesien (Roberto Blanco), Österreich (Peter Alexander, Udo Jürgens) – also alles Weltgegenden, die das „Reisebüro Wehrmacht” in den Jahren 39-45 erschlossen hat. Dazu gesellen sich höchst erfolgreiche Stimmen aus Israel (Daliah Lavi, Esther & Abi Ofarim), Kenia (Roger Whittaker) und Südafrika (Howard Carpendale).
Konsequenterweise werden viele der in Deutschland geborenen Musiker mit „fremdländischen” Künstlernamen berühmt: Roy Black (aka Gerhard Höllerich), Rex Gildo (aka Ludwig Franz Hirtreiter), Tony Marshall (aka Herbert Anton Bloeth), Chris Roberts (aka Christian Franz Klusáček).
Die Themen (der Einfachheit halber alle der ZDF-Hitparade entnommen): „Afrika” (Ingrid Peters), „Akropolis Adieu” (Mireille Mathieu), „Bora Bora” (Tony Marshall), „Caprifischer” (Vico Torriani), „Carneval in Rio” (Heino), „Da kommt José” (Lena Valaitis), „Fiesta Mexicana” (Rex Gildo), „Die Fischer von San Juan" (Tommy Steiner), „Fremde Erde” (Roy Black), „Griechischer Wein” (Udo Jürgens), „Ein Indio-Junge aus Peru” (Katja Ebstein), „In Japan geht die Sonne auf” (Roy Black), „Karamba, Karacho, ein Whisky” (Heino), „Der letzte Sirtaki” (Rex Gildo), „Mendocino” (Michael Holm),„Moskau” (Dschingis Khan), „Der Puppenspieler von Mexico” (Roberto Blanco), „Rhodos im Regen” (Udo Jürgens), „Die rote Sonne von Barbados” (Die Flippers), „Sommernacht in Rom” (G.G. Anderson), „Spaniens Gitarren” (Cindy Berger), „Der Stern von Mykonos” (Katja Ebstein), „Der Wein von Samos” (Costa Cordalis), „Am weissen Strand von San Angelo” (G.G. Anderson), „Zwei kleine Italiener” (Conny Froboess), „Zigeunerjunge” (Alexandra), „Zigeunerwagen” (Ann & Andy), um hier nur die griffigsten Titel zu nennen (es gibt Hunderte ähnliche Beispiele).
Mit viel gutem Willen kann man dieses Phänomen teilweise positiv interpretieren: Neugier auf die Welt, Fernweh (wir sind „Reiseweltmeister”), vielleicht auch: ein Fremdeln mit der eigenen Haut nach der Katastrophe des 2. Weltkriegs – ein Fremdeln, das womöglich auch Anteil an dem überwältigenden Erfolg nicht-deutschsprachiger Musik hat. Aber es bleibt ein Unbehagen, und das nicht nur, weil viele der Texte (mindestens nach heutigen Maßstäben) rassistisch sind.
Was bedeutet die Sehnsucht nach der Ferne, die den bundesdeutschen Schlager so fest im Griff hat? Welche Rolle spielen das „Herkommen” und Radebrechen für den Erfolg dieser Musik? Und inwiefern ist die – bis heute stabile – Ablehnung des „Fremden” in der Praxis mit der Schwärmerei für das Fremde in der Theorie verbunden?
Es wird zwar vom Fremden gesungen und auch mit Akzent, aber die Texte sind größtenteils in deutscher Sprache. Wird so das „Fremde“ nicht gerade eingemeindet und gebändigt?
AntwortenLöschenIch fliege nach Mallorca, möchte aber deutsch sprechen. Ich gehe ins chinesische Restaurant, möchte aber keine authentisch chinesischen Gerichte. Stattdessen gibt es die Menükarte für die deutschen Gäste und eine separate Menükarte für die chinesischen Gäste…
a genau, das Fremde wird gebändigt, der Akzent ist kaum mehr als eine Würze, auch musikalisch bleibt die Auseinandersetzung an der Oberfläche. Aber man hätte sich ja auch mit der deutschen Gegenwart auseinandersetzen können. Das geschieht nur selten. Dass die Ferne so dominant ist als Thema, ohne aber mit einer entsprechenden Bewegung einherzugehen – das ist schon frappierend, finde ich. (ch)
LöschenJa, das ist gut beobachtet, dass die Fremde im Schlager so populär ist. Das Gegenteil war (?) es ja auch lange: die Heimat.
LöschenEine weitere These wäre, dass der Schlager stark im Zeichen der Zerstreuung steht und da sind aktuelle Probleme, zumal lokale, natürlich nicht dienlich. Man stelle sich einen Schlager über die Benachteiligung von Frauen vor oder die Klimakrise - undenkbar.
Zerstreuung und Alltagsflucht sind zentral, klar. Aber ich glaube im Prinzip kann man über jedes Thema einen Schlager machen. Bei Udo Jürgens sind die Texte oft ziemlich komplex, zB „Ein ehrenwertes Haus“ oder auch „Griechischer Wein“ erzählen gute Geschichten. (ch)
LöschenDas führt jetzt ein wenig vom Thema ab, aber es ja bekannt, dass z.B. Till Lindemann (Rammstein) großer Bewunderer von Roland Kaiser ist und für ihn auch schon Texte geschrieben hat. Und ich finde, viele der Rammsteine-Songs haben auch etwas schlagereskes, sowohl rhythmisch als auch textlich (wenn auch nicht thematisch). Man kann also vielleicht nicht nur über vieles einen Schlager machen, der Schlager findet sich auch in vielem wieder.
LöschenWusste ich nicht. Interessant. Die „Tragik“ des deutschen Schlagers, falls man das so nennen will, besteht für mich in seinem unterdrücktem Status‘. Angesichts der auch handwerklich furchtbar schlecht gemachten Stücke einerseits kein Wunder, andererseits hat die mangelnde Qualität eben auch mit der Tatsache zu tun, dass der Schlager der Nachkriegszeit nie Teil offizieller Kultur war, Stichwort: E und U, aber auch das „Affektverbot“ der BRD-Intelligenz spielte da eine Rolle … Gleichzeitig haben das eben viele Millionen Menschen täglich gehört. Diesen Spagat finde ich interessant. (ch)
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