24 Juni, 2021

Unter Einfluß


Vincente Minnelli: THE BAD AND THE BEAUTIFUL (USA 1952)

Dass künstlerische Fragen immer auch ökonomische sind – darüber sprechen Cinephile nicht gerne. Selbst wenn man die Transmission des Budgets und der Produktionsbedingungen nicht werten will, bedroht sie die Illusionen, die sich Künstler und Zuschauer machen wollen. Geht es um die eigene Arbeit, wird noch lauter geschwiegen, auch weil der Schöpferkitsch (den uns die Reklame eingeflüstert hat) ein Suchtstoff ist.


Wie trägt sich das Geld in die Filme ein? Der erste Druckpunkt ist subtil. Die Deformation beginnt lange bevor Projekte Bedingungen vorfinden, in den Köpfen der Produzenten, Regisseure, Drehbuchautoren, die sich vorstellen, was machbar sein könnte. Dieser Möglichkeitssinn orientiert sich daran, was in der Vergangenheit möglich war und setzt so nicht nur künstlerische Traditionen, sondern auch die Tabus der Geldgeber fort. Wenn man belichtet, was in unseren Filmen nicht vorkommt, entsteht als Negativ ein vitales Bild der Interessen der Macht, mindestens so vielsagend wie das Positiv. 


Der Künstler mag im besten Fall Wahrheitssucher sein, der Markt sucht den Erfolg zum besten Preis, und macht also Wirkung zum Fetisch, während die (halb-) staatlichen Förderinstitutionen und Sender letztlich auf Legitimierung hoffen. In der Realität vermischen sich diese Ziele und Motivationen so, dass die meisten am Spiel beteiligten Parteien schwören könnten, dass sie „frei“ seien und nur der eigenen „Vision“ folgten.


Das Gefüge im deutschen Film ist besonders widersprüchlich; die besten Chancen haben Projekte, die sich gegen Kritik immunisiert haben, indem sie die Imitation marktgängiger Muster kulturell bemänteln. Das Motto heißt „ein bisschen Freiheit“ (gesungen von Nicole), kein Vogel soll zu hoch fliegen, denn die Kunst, das wissen wir nicht erst seit der der Pandemie, ist nur ein „kleiner Freund“.


Und das Publikum? Weiß nicht was es will, es sei denn es bekommt es. Es folgt einem Appetit, der authentisch ist, lässt sich aber leicht von den eigentlichen Bedürfnissen ablenken, zumal die Industrie gerne mit den „niedrigen Instinkten“ rechnet, vermeintlich weil sie zuverlässiger sind. Man muss die von der Vielzahl des Immergleichen geprägte Seherfahrung als Abrichtung verstehen, die man nicht nach Belieben hinter sich lassen kann. 


Noch immer ist die einzig akzeptierte Form einer Bittschrift drehbuchförmig, ein Zensurmittel insofern, als es bestimmte Vorgehensweisen ausschließt, und Teil eines bürokratischen Systems, das ausgerechnet zur Beurteilung audiovisueller Projekte (bewegte) Bilder und Töne ausschließt. Die Währung Vertrauen jedenfalls hat keine Gültigkeit, das bedauere ich am Meisten. 


Die folgenreichste Schranke, die noch dazu weitgehend unsichtbar bleibt, ist jene, an der Projekte abgewiesen werden. Ja, „Das Unverfilmte kritisiert das Verfilmte.“ wie Alexander Kluge richtig schreibt, aber wer kennt schon die unverwirklichten, die aufgegeben Projekte? Auch wäre es eine Untersuchung wert, wie sich Ablehnungen auf Folgeprojekte auswirken. Ich bezweifle, dass ein „Nein“ mutiger macht.


Die nächste Hürde ist das beschränkte Budget. Sofern man durch das Nadelöhr der Redaktionen, Förderkommitees oder privatwirtschaftlichen Entscheider geschlüpft ist, fliessen meist weniger Mittel als erhofft oder benötigt. Manchmal scheint die Summe auf dem Papier gerade noch vertretbar, aber zum Beispiel die Kreditkosten, Koproduktions- und Ländereffekte reduzieren das real verfügbare Budget. 


Unterfinanzierung ist hierzulande die Regel, nicht die Ausnahme. Wir produzieren sehr viele Filme für wenig Geld, auch weil unsere Gremien und Institutionen lieber viele Projekte mit kleinen Summen fördern als wenige mit großen; im Erfolgsfall will man dabei gewesen sein, im Misserfolgsfall war man nur einer von vielen. Aber natürlich ist Mangel auch in anderen Systemen gewissermaßen die Standardeinstellung. 


Es muss also gespart werden. Man ist angehalten, das Drehbuch zu kürzen. Was kürzt man? In der Regel „unwichtige” Szenen. Szenen, die nicht handlungsentscheidend sind. Dass sie womöglich als Resonanzräume nötig gewesen wären, weil das „Besondere“ erst in einer alltäglichen Rahmung zur Wirkung gelangt: geschenkt. Auch überdurchschnittlich teure Szenen werden gestrichen oder modifiziert, Schauwerte reduziert. 


Das führt manchmal zu guten Einfällen und einer Reduktion auf das Wesentliche, mindestens ebenso oft aber bedeutet es eine Verarmung, die der Zuschauer vielleicht ahnt, die die Filmemacher im Zusammenhang der PR-Arbeit aber leugnen müssen. Sparen heißt oft auch, die Zahl der Sprechrollen zu reduzieren. Und natürlich werden Drehtage gestrichen. Das bedeutet dann wiederum, dass man (in der Schauspielarbeit zum Beispiel) nicht dazu kommt, die Potentiale auszureizen.


Der Sparzwang klingt harmlos und selbstverständlich, die schwäbische Hausfrau grüßt wissend herüber, aber er bedeutet, dass beinahe jeder Film zur Ruine seiner Ambition wird. Ja, Beschränkungen setzen Kreativität frei, und der Beweis, was jeweils wertvoller gewesen wäre, ist oft schwer zu führen. Nur in der Summe, etwa wenn man einen ganzen Jahrgang deutscher Filme sichtet, wird deutlich, wie uniform die Mittel der Armut machen.

Apropos uniform: der in Hollywood (als einer durchschnittlich viel teureren Produktionsweise) vorherrschende Auflösungsstil, den David Bordwell intensified continuity style nennt und der automatisch mit dem Coverage-System einhergeht (eine Szene wird überlappend in verschiedenen Größen und Perspektiven gedreht), ist eine produzentisch durchgesetzte Verzögerung kreativer Entscheidungen, die zu einer großen stilistischen Angleichung geführt hat. Man möchte im Schneideraum - notfalls gegen die Vorstellungen der Regie - möglichst große Manipulationsmöglichkeiten haben. 


Auch die Wächter intellektuellen Eigentums hinterlassen ihre Spuren. Musikrechte fürs Kino sind wahnwitzig teuer und werden scharf überwacht, übrigens auch in „dokumentarischen” Filmen, und Produkte aller Art, von Postern bis hin zu Gebäuden, werden von einer Abmahnindustrie eingezäunt, auch wenn sie unbestreitbar Teil des öffentlichen Lebens sind und das Heraushalten aus einer Fiktion mitunter mit erheblichen Verrenkungen verbunden ist.


Aber die Deformation der Erzählweisen geht noch weiter, bis in die Tiefenstruktur des Mediums. Für viele Genres ist das Prinzip der Steigerung konstituierend, „more of the same“ gilt als Erfolgsrezept. Nehmen wir, nur zum Beispiel, den Zombiefilm. Er ist aus dem Wunsch geboren, billig hergestellte Gewalt als kommerzielles Argument zu maximieren, ohne gleichzeitig hinter die Barbarei genozidaler Erzählungen zurückzufallen. Der Zombie bietet einen Ausweg aus dem moralischen Dilemma, das Töten einerseits sanktionieren und es andererseits als Unterhaltungsmittel serialisieren zu müssen. Über diesem Widerspruch haben sich die Widersacher entmenschlicht; Konfliktideologie ist Marktideologie. 


Dass manche Klassiker des Genres eine kapitalismuskritische Tendenz haben, steht nur scheinbar im Widerspruch dazu. Der Kapitalismus hat kein Problem mit Kapitalismuskritik. Dass sich die „Objektivität“ des Marktes - alles, was sich gut verkaufen lässt, ist willkommen - mit Freiheit verwechseln lässt, hat mit der erwähnten Abrichtung zu tun.


Der Schneideraum schließlich liegt nahe als Ort des Gemetzels. Die verstümmelten, entschärften oder auf Standardmaß gekürzten Filme sind Legion. Und zuletzt ist Sichtbarkeit etwas, was im Markt mit ganz unterschiedlichem Nachdruck hergestellt werden kann.


Das nur als Skizze der engen Schluchten, die Filmemacher durchqueren müssen, und die vielen so normal vorkommen, dass sie sich die Ebene nicht vorstellen können.


(Geschrieben als Debattenbeitrag für das Regie-Kolloquium an der DFFB)

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