Wenn es darum geht, einen Film zu wählen, den ich sehen will, spielt Gewalt eine gewisse Rolle. Hat das zugenommen oder fällt es mir heute mehr auf? Es gibt Tage, an denen ich einen regelrechten Appetit danach bemerke, ohne dafür – auch bei strenger Nachforschung – ein konkretes Motiv benennen zu können. Dass mich etwa (wie man meinen könnte) Niederlagen des Alltags blutdurstig machten, kann ich verneinen.
Was für (die Darstellung von) Gewalt spricht? Einmal scheint sie uns zu entsprechen. Zum anderen wohnt ihr eine Schönheit inne. Oder ist das eine Tautologie? Ich plädiere nicht für Gewalt als „Lösungsmittel“, aber dafür, unser vehementes Interesse an dem Phänomen nicht zu leugnen.
Das Einzige, was womöglich schlimmer ist als Gewalt: sie zu unterdrücken, ohne die Kräfte aber wirklich auszugleichen. Ein großer Teil der „Friedlichkeit“ unseres gesellschaftlichen Miteinanders scheint heute so beschaffen. Bis zu einem gewissen Grade „schön“ (des Schrecklichen Anfang) könnte deshalb sein, wenn sich die Gewaltverhältnisse (die ohne Frage herrschen) zeigen.
Gewalt gehört so verstanden zur Anschaulichkeit menschlicher Aktivitäten, zu unserem expressiven Potential. Und zielt nicht jedes Differenzieren und also Erzählen darauf ab, das Kommen und Gehen von Gewalt zu verstehen? Mit allem, was dazugehört: Verblendung, Verletzung, Schmerz, Trauma, Heilung.
In keinem Genre wird das deutlicher als im Gangsterfilm. Mindestens in zweifacher Hinsicht agieren die Gangster des Kinos als unser utopischer Spiegel: Indem sie sich nehmen, was sie wollen. Und indem sie Gewalt nicht fürchten. Anders als wir ertragen Gangster ihr Schicksal nicht, sondern fordern es heraus, und gehen ihm entgegen. Im Scheitern zeigen sie, woraus sie gemacht sind.
Und weil Gangster Verfemte, Verletzte, Geschlagene sind - die sich wehren müssen, um ihre Ehre zu verteidigen - erlauben wir uns ihre Überschreitungen als eine Art metaphorische Ausnahme zu sehen. Sie tun es für uns, ganz im Gegensatz zu den echten Kriminellen übrigens.
Jean-Pierre Melville nannte den Gangsterfilm einmal eine „Form der modernen Tragödie” - denn in den ritualisierten Formen des Genres geht es um die letzten Dinge. Genau das reizt mich am Gangsterfilm, neben dem Spaß an den Formen und Figuren: wie direkt er vom „Schicksal” sprechen kann, weil die Realismen des Gegenwartskinos nicht im Weg sind.
Ein untypisches Beispiel, aber wahrscheinlich mein Lieblings-Melville: L’ARMÉE DES OMBRES (F 1969). Das dramaturgische Prinzip: rhapsodisch, lückenhaft, überraschend detailliert an der einen, unerwartet episch an der anderen Stelle. Es entsteht das Gefühl der Anwesenheit eines großen Offs – der Film ist mehr als eine Fiktion oder Nacherzählung eines geschlossenen Zusammenhangs. Eher ragen Felsen aus dem Nebel.
Mir gefällt besonders die Chuzpe, die heilige Sage der Résistance als Gangsterfilm zu erzählen und damit als einen Widerstand der Haltung, nicht der Wirkung - und als eine Unternehmung, die quer steht zum bürgerlichen Frankreich. Sisyphus als glücklicher Mensch, weil er in Bewegung war, und es versucht hat. Mehr noch: nur in der „unmöglichen” Tat, so scheint Melville zu sagen, einem Akt des Widerstands ohne praktischen Nutzen, lässt sich jener höchste Grad der Ehre erringen, der im Stande ist, die Nachkriegszeit zu beleuchten.
Zugleich zeigt sich in den Gewaltspitzen des Films der moralische Grauton der „Schattenarmee”: Nicht zufällig sind es die beiden Morde – oder Hinrichtungen – der eigenen Leute, die als Portale den Film eröffnen und beschließen und die den Zwiespalt der „Gangster” kenntlich machen. Überall Vergeblichkeit, die aber nicht bedeutet: umsonst.
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