10 April, 2009

post mortem

Ich bin gerade dabei, meinen neuen Spielfilm zu besetzen und sehe in diesem Zusammenhang viele Bänder, Zusammenschnitte von Auftritten einzelner Schauspieler.

Das Bild, das dabei im Nebenbei von Deutschland entsteht, wird von der Frage nach dem Alibi dominiert. „Wo waren Sie am ...” fragen die Kommissarinnen und Kommissare in allen erdenklichen Betonungen.

Das Trauma der schon besiegelten Schuld zieht sich durch beinahe alle Fernsehkrimis, der Modus ist immer post mortem, man kann das Verbrechen nur mehr ermitteln, vielleicht verstehen, aber nicht mehr abwenden.

Ein Toter beginnt den Film und viele leblose Figuren später wird der Täter aufgeräumt, während die Ermittler unberührt bleiben, womöglich beschützt von der Gnade der späten Geburt.

Das Genre braucht die Resonanz im kollektiven Unbewussten, um in der Wiederholung wirksam zu werden, insofern ist der deutsche Fernsehkrimi Nutzniesser der Leichen im Keller unserer Geschichte.

Aber angesichts all der Kommissare und ihrem Gewissensterror sehne ich mich nach Filmen, die sich auf die Seite der Verbrecher schlagen, nach Filmen, in denen die Bösen davon kommen - ohne aufzuhören böse zu sein natürlich.

Wäre das nicht auch die ehrlichere Erzählung über unsere Geschichte?

25 Kommentare:

  1. Es wäre vor allem eine sehr manichäistische Erzählung über unsere Geschichte.

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  2. Das würde doch davon abhängen, WIE man davon erzählt ... aber sicher, das Wörtchen „böse” muss man mit Vorsicht geniessen.

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  3. Sicher. Das WIE ist entscheidend.

    Andererseits ist mir auch der Zusammenhang zwischen Fernsehkrimis und "Geschichte" nicht so ganz klar.

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  4. Nun, ich denke, Genre muss man immer auch politisch lesen. Die Frage wäre also, welche Metaerzählung steckt hinter (oder in) den zahllosen deutschen Fernsehkrimis? Mein kurzer Post liefert eine (polemische) Erklärung...

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  5. Gibt es eine solche Metaerzählung tatsächlich? Ich denke nicht.

    Ich denke nicht, dass Genre politisch gelesen werden MUSS. Ein Krimi ist zeitlos und funktioniert in unterschiedlichen Kulturen immer auf dieselbe Art und Weise.

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  6. Mag sein, dass mancher Krimi zeitlos ist etc., aber bei einer so massiven Häufung von ähnlichen Erzählstrukturen MUSS man davon ausgehen, dass das Kollektiv-Unbewusste eine gewisse Rolle spielt - so wie auch im Western, Heimatfilm oder Film Noir bestimmte traumatische Erfahrungen aufgehoben sind... Es stimmt, das dramaturgische Modell der Recherche ist überall auf der Welt erfolgreich, aber das Erstaunliche ist ja seine geradezu berechenbar spezifische Ausformung hierzulande.

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  7. "Ein Toter beginnt den Film und viele leblose Figuren später wird der Täter aufgeräumt, während die Ermittler unberührt bleiben, womöglich beschützt von der Gnade der späten Geburt."

    Na klar. Warum sollten die Ermittler irgendwas abbekommen. Sie sind ja keine Mörder...

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  8. Natürlich, sie sind keine Mörder, aber der Umgang mit ebensolchen hinterlässt - im Leben - deutlich Spuren. Im Rahmen eines seriellen Krimiformats ist Entwicklung aber nicht erlaubt. usw.

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  9. Ok. Christoph Hochhäusler.

    Du hast Recht. usw.

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  10. vorneweg. deutsche fernsehkrimis sind einfach scheisse.

    aber die theatralische polemik macht spass und ich will es einmal ebenso erwidern. )kann ich natürlich nicht so gut=

    zum bleispiel, so

    könnte man analog zu christoph hochhäuslers brotmesserstumpfen analyse nicht einmal beispielsweise ebenso polemisch vermuten, dass im kleinen kollektiven Unterbewussten der deutschen intellektuellen Filmemacher (was immer das sei) das trauma des deutschen Autorenfilms aufgehoben ist und sich so letztendlich in deren filmen wiederfindet, das ganze scheitern der 68er zwischen im gegenlicht, der frust über den gang in die institutionen abgestraft durch eine weitere nicht enden wollende einstellung. und so am ende schrecklicherweise auch einem alten schema, dem deutschen opfer-schema folgend? ja, da möchte man doch mal wieder so richtig ein bisschen böse sein.
    (spd-filmdienst 2009)

    in vorfreude auf den noch zu schaffenden deutschen horrorfilm grüsst..

    mirko

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  11. Was am deutschen Autorenkino der 70er Jahre „traumatisch” sein soll, weiss ich nicht. Aber wer versucht, meine Filme zum Beispiel als eine Fortsetzung dieser Tradition zu lesen, wird einige Verrenkungen machen müssen... (Nein, nein, ich habe nichts gegen Sport.)

    „68 im Gegenlicht” übrigens klingt gut, finde ich - aber was könnte das heissen?

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  12. ja, was könnte es heissen:

    Vielleicht heisse luft als erwiderung auf heisse luft, wobei meine heise luft natürlich nur als kleine provokation mit null tiefgang gemeint war, die ja, wie ich jetzt lese, nicht mal grammatikalisch haltbar ist,..

    es schien mir so, das deine "analyse" oder "polemik" in ihrer ganzen märchen-onkeligen schwurbeligkeit mehr über deutsche traumas (traumen, traumatas...whatever) aussagt als ihr sujet. (nämlich das trauma der intelekktuellen)

    darüber wollte ich mich - ungekonnt, wie man lesen kann - ein wenig mokieren. verzeihung.

    nichts für ungut, viel erfolg im gegenteil, wünscht

    mirko

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  13. "Aber wer versucht, meine Filme zum Beispiel als eine Fortsetzung dieser Tradition zu lesen, wird einige Verrenkungen machen müssen."

    Ist dir das schonmal passiert, dass das jemand versucht hat?

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  14. --- so hatte ich Mirkos Kommentar verstanden.

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  15. Nein, nein. Ich meinte es eigentlich ganz anders.

    mirko

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  16. Der Großteil aller deutschen Krimis liefert ein Bild von Deutschland, das so wahr ist wie das von Deutschland sucht den Superstar.

    Das Format Fernsehserie verschreibt sich doch überhaupt, und nicht nur hierzulande, nur dem einen Zweck: zu unterhalten. Und zwar unweigerlich zu unterhalten. Ambitionierte Regisseure können da nur versuchen, das beste draus zu machen.

    Der Zuschauer sitzt nach seinem anstrengenden Tag abends vor der Kiste und "schaltet ab", wie man so treffend sagt. Er will nicht mehr denken, nicht mehr arbeiten, nichts mehr erkennen, nichts fühlen (außer Wohl), sondern einfach nur unterhalten werden. Und alles was es dazu braucht, ist eine leicht zugängliche Geschichte und ein bisschen Suspense. Und eine glaubwürdige Oberfläche.

    Die Unterhaltung ist umso müheloser, je bekannter das Vokabular. Ein Krimi muss so leicht zu verstehen sein, wie ein Bericht in der Lokalzeitung, also: immer die gleichen Floskeln, die gleichen Zusammenhänge, die gleiche Logik, die gleiche Musik (Welcher Automat macht diese Musik?)...

    Genre, ja, aber vor allem bitte mühelose Unterhaltung! Um diese zu gewährleisten, gibt es Autoren, die mit ihrer Schablone einen Tatort nach dem anderen schreiben – wie der Journalist der Lokalzeitung seine Berichte.

    Mein Vater zum Beispiel, der hat den Krieg nicht miterlebt und deshalb auch keine Leichen im Keller. Trotzdem will er abends keine Gewalt sehen, geschweige denn einen Film, der ihn etwas spüren lässt, das nicht so leicht verdaubar ist. Nein, viel lieber einen Tatort, oder den Bullen von Tölz, wo das unangenehme schon passiert ist, bevor die Schablonengeschichte anfängt. (You know the story, here it comes again, singt Tom Waits.)

    Und, wie gesagt, glaubwürdig muss das ganze aussehen. So müde mein Vater auch vor dem Fernseher sitzt, irgendwann bemerkt er plötzlich, dass dieser deutsche Offizier in der Nebenrolle ein paar Einstellungen früher noch ein höheres Abzeichen auf seinen Schultern trug, und das geht ja wohl gar nicht.

    Es gibt also eine Erwartungshaltung der Zuschauer, und diese wird von den Fernsehsendern bedient. Das hat mit guten Filmen so viel zu tun, wie politische Wahlprogramme mit Dichtung. Der Zuschauer erwartet nicht Wahrheit, sondern Logik.

    Die Frage nach der Metaerzählung finde ich da interessant, aber letztlich zwecklos. Ähnlich wäre die Frage nach einer Metaerzählung des katholischen Gottesdienstes, der zwar seit vielen Jahrzehnten reformbedürftig ist, aber noch lange so bleiben wird wie er ist. Das hat nichts mit einem kollektiven Unbewussten zu tun, sondern mit Konservatismus einerseits, und der Freiheit, nicht hingehen zu müssen, andererseits.

    Analog bei den Krimis. Die Schablone funktioniert, weit besser sogar als die des katholische Gottesdienstes, und deshalb probiert man eine andere, die mit unserem kollektiven Unbewussten vielleicht mehr zu tun hätte, gar nicht erst aus.

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  17. Passt hier nicht ganz hin, aber wohin sonst: Tom Tykwer schreibt in der heutigen FAZ anlässlich des 50-jährigen [!] Jubiläums der nouvelle vague, "Denken wir unbedingt auch an Deutschland: Denn unser Chabrol heißt eben heute Dominik Graf, unser Rivette heißt Christoph Hochhäusler, unsere Agnès Varda heißt Ina Weisse..." Na, wenn das kein Ritterschlag ist, Herr Hochhäusler!

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  18. Es soll ja der eine oder andere Ritter auch erschlagen worden sein bei seiner Erhebung in die Tafelrunde ...

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  19. Und unser Tom Tykwer heißt Tom Tykwer.

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  20. Das ist aber nicht nett…

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  21. Tykwer soll die Kirche im Dorf lassen. Dominik Graf ist kein Chabrol.

    Christoph, sorry, aber Rivette bist du auch nicht. Dafür bist du zu wenig Franzose.

    mirko

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  22. Tykwers Gleichung ist Teil eines Textes, der sich um das Erbe der Nouvelle Vague dreht. Es ging ihm sicher nicht um eine Gleichsetzung. Im Übrigen könnte man mit Marx sagen, dass sich die Filmgeschichte nicht wiederholt, es sei denn als Farce...

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  23. Ich bezweifle, dass Marx sehr viel über die Filmgeschichte zu sagen hat.

    Schließlich war er schon tot als sie begann.

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  24. Marx' Ausspruch ist natürlich auf die Geschichte gemünzt, ich habe mir erlaubt, zu variieren...

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  25. So oder so, interessant ist ja auch folgendes: neben Tykwers Text, der einen unmittelbaren Einfluss der "nouvelle vague" auf das kontemporäre Autorenkino sieht ("Geblieben ist, ..."), steht ja auch noch der Text von Christian Petzold. Und dieser erlebt die "nouvelle vague" so anders - als abgeschlossene Periode einer Schule des Sehens, die definitiv vorbei ist: "Unterm Hallenbad begann die Zeit, wo die Bilder heißen und hinweisen und ersetzen und gefallen wollen. Unterm Hallenbad begann das Verfilmen."

    Spnannend, oder nicht?

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