05 Dezember, 2024

Zum Abschied vom Potsdamer Platz


Das Arsenal habe ich in der Welserstraße 25 kennengelernt. Der Potsdamer Platz blieb 24 Jahre lang „neu” und fühlt sich auch kurz vor Abschied nicht als der Ort an, an dem Idee und Kinopraxis mit dem Genius Loci zur Deckung gekommen sind. Insofern bleiben für mich vor allem Filme, oder besser gesagt: Vorführungen und Veranstaltungen. Ich war zwar nie so oft im Arsenal wie ich wollte – die im Programmheft markierten Filme kritisieren die wirklich gesehenen – aber die Zahl „merkwürdiger” Abende ist trotzdem sehr groß.

Ein besonderes Ereignis war für mich STATE LEGISLATURE, den ich 2007 im Arsenal gesehen habe, ein unvergesslicher Abend. Ausgerechnet am Beispiel USA den Glauben wiederzufinden an den demokratischen Prozess – das war schon damals unwahrscheinlich. Heute, nachdem Trumps gefürchtete Rückkehr zur deprimierenden Tatsache geworden ist, umso mehr. Aber dieses Wunder gelingt Wiseman, der hier einmal mehr gewitzter Zeuge komplexer Vorgänge ist. Einstellung für Einstellung baut er das Bild eines Parlaments als eine stellvertretende „Aufführung“ der Welt, in der geduldig Problemlagen vorgestellt und Handlungsmöglichkeiten vorgeschlagen werden. Dass diese Theatralisierung auch Helden(-darsteller) hervorbringt, ist keine Überraschung. Wisemans Everyman, der hier mit seinen Herausforderungen wächst und sich mit Bravur in die Rolle schickt, reiht sich ein in die großen Darsteller und Darstellungen amerikanischer Demokratie, angefangen mit Henry Fonda in YOUNG MR LINCOLN (John Ford, 1939) und James Stewart in MR SMITH GOES TO WASHINGTON (Frank Capra, 1939).

Der amerikanische Regisseur, eine lebende Legende, ist an seinem Mythos nicht interessiert an diesem Abend. Oder jedenfalls will er nicht viele Worte machen. Ich kann ihn verstehen, der Film braucht seine Anwesenheit nicht, dennoch bedeutet sie mir etwas. Ich frage ihn, wie er seinen „Star” gefunden hat, wann er wusste, dass er die meiste Screentime bekommen wird. Er verweist zurück auf den Film, aber er ahnt, dass meine Frage Vorwand für eine Respektsbezeugung ist – und nimmt sie mit einem Lächeln an.



Geschrieben auf Einladung von Birgit Kohler, zum Abschied vom Potsdamer Platz. Ab Mitte Dezember 2024 wird das Arsenal voraussichtlich ein Jahr nomadisch unterwegs sein – ohne einen festen Kinosaal – bevor es Anfang 2026 im Silent Green neues Quartier bezieht.

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