12 Februar, 2024

Auf Distanz


Drei Angehörige einer deutschen Propaganda-Kompanie drehen eine Kamerafahrt in einer Produktionshalle im Warschauer Ghetto, in der Juden Zwangsarbeit verrichten. Dieses unscheinbare Bild habe ich kürzlich in Warschau im Museum der Geschichte der polnischen Juden gesehen und es hat einen besonderen Eindruck auf mich gemacht. Natürlich, weil es meine Profession berührt, aber nicht nur. 

Die drei Männer in Uniform nutzen eine Rikscha mit Luftreifen, um eine möglichst sanfte Kamerabewegung zu gewährleisten. Sie haben aus der Welt, die sie filmen, einen beliebigen Gegenstand gemacht. Die Geräte helfen ihnen, die Realität auf Distanz zu halten. Natürlich wissen sie, dass die Jüdinnen und Juden unterernährt sind, dass sie Sklavenarbeit leisten und ihr Tod beschlossene Sache ist. Von den 500.000 ins Warschauer Ghetto verbrachten Menschen haben nur wenige Tausend überlebt.

Trotzdem arbeiten die Männer sorgfältig an der Fiktion einer akzeptablen Ordnung. Sie wissen, dass die Wirklichkeit des Ghettos „dem Zuschauer” nicht zumutbar ist. Wahrscheinlich hat man die „Darsteller” vor dem Dreh ausgewählt, ihnen geholfen, ihre Kleidung aufzubessern, vielleicht wurden sie für den Zweck sogar geringfügig besser verpflegt. Es wäre nicht gut fürs Bild, wenn die Not offensichtlich wird. 

Rivettes Aufsatz „über die Niedertracht” fällt mir ein. Auch Rivettes Kritik galt einer Kamerafahrt (und der ästhetisierenden Rekadrage auf eine Sterbende), allerdings in einem Spielfilm, der das Schicksal einer Jüdin in einem Todeslager mit den Mitteln des Publikumskinos schildert, mit Rabatt sozusagen, inklusive Liebesgeschichte. Aber wenn diese sympathisierende Fiktion niederträchtig war – und ich finde, Rivette hat einen Punkt – was ist dann das Verhalten der PK-Leute?

Bewusst falsches Zeugnis zu geben von der Vernichtung, und so den reibungslosen Ablauf des Tötens zu befördern, ist seinerseits ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit – und wiegt kaum weniger schwer als der Massenmord, finde ich. Denn diese Männer hatten das Wissen und die Mittel, die Situation zu erfassen. Sie haben Bilder und Töne aufgenommen und dieses Material nach Massgabe der Wirksamkeit verändert, der Wirklichkeit oft völlig entgegengesetzt. Die menschenfeindliche Abstraktion ihrer Weltanschauung entsprang nicht der Bequemlichkeit des Zuhauses, in dem es ein Leichtes ist, das Unglück der Anderen auf Abstand zu halten; sie abstrahierten inmitten des Leidens.

Die Täter sind straffrei geblieben. Viele Mitglieder der Propaganda-Kompanien haben nach 1945 große Medienkarrieren in der BRD gemacht, bei Spiegel (1, 2), SternQuick und ZDF zum Beispiel. Gut möglich, dass sie ihre während des Krieges erworbenen Erfahrungen als „wertvoll” empfunden haben. Gut möglich auch, dass das so erworbene Handwerkszeug bis heute nachwirkt. Ich meine damit nicht, dass sich die NS-Propaganda nahtlos fortgesetzt hätte. Sehr wohl aber die „professionelle” Sachlichkeit – die Fähigkeit, zu allem auf Distanz zu gehen – und keinen Unterschied zu machen, wer Auftraggeber ist und was der Gegenstand des Interesses. 

Ich verstehe das Foto als eine Warnung. So flexibel ist der Mensch, sagt es, so grausam – und so gerne „neutral”, auch und gerade im Angesicht leidender Mitmenschen. 


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