05 April, 2017

Sinkflug




Als ich anfing, mich für Film zu interessieren, gab es niemanden in Europa, dessen Prestige größer war als das Federico Fellinis. Kritik und Publikum schienen einig, dass dieser Mann „das Kino selbst” sei, und auch wenn das Spätwerk weniger Stimmen auf sich vereinen konnte als die ersten 8 1/2 Filme, blieb er doch ein Gigant, dessen Drehbücher, Memoiren und Skizzenbücher man im filmbucharmen Deutschland überall kaufen konnte. Noch als die ersten Multiplexe gebaut wurden, hiessen die hässlichen, hauseigenen Bars gerne „Fellini” oder „Cinecitta”; auch dort also, wo man seine Filme nie zeigen wollte, schmückte man sich gerne mit seinem Namen. Casaros Kitsch-Paraphrase von Rafaels „Schule von Athen”, die Fellini als Meister aller Klassen zeigte, der die größten (amerikanischen) Stars mit Megaphon in Schach hielt, muss sich damals blendend verkauft haben. Als „Mr. Cinema” dann starb, fragten sich manche im deutschen Feuilleton ernsthaft, ob damit auch das Kino zu einem Ende gekommen sei. Nun, diese Frage hat sich erledigt, und Fellinis Ruf ist, scheint mir, seither im Sinkflug begriffen, was sich vielleicht am klarsten am Misserfolg seiner „Erben” zeigt. Peter Greenaway, Terry Gilliam und Emir Kusturica verkörperten eine Weile höchst erfolgreich bestimmte Aspekte eines felliniesken Kinos, irgendwo zwischen Bilderzirkus und Kinomärchen – und wirken heute reichlich anachronistisch. Greenaway, gefeierte Ikone des referenzgesättigten Konzeptfilms, arbeitet inzwischen multimedial mehr oder weniger unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Gilliam, dessen Konflikte mit den Studios einer breiten Öffentlichkeit einmal als Kampf der Fantasie gegen das Geld schlechthin galten, scheint finanziell und künstlerisch zweite Wahl geworden. Kusturica, der die Palmen, Bären und Löwen bündelweise gewonnen hat, gefällt sich in reaktionären Gesten, als Filmemacher ist er längst abgeschrieben. Und Fellini? Hat sich wieder eingegliedert in die reiche Geschichte des italienischen Kinos, zu deren Zampano man ihn (und er sich) gemacht hatte – und wartet auf sein Comeback. Die Konjunkturen der Aufmerksamkeit sind launisch, aber die Chancen auf eine Wiederkehr stehen womöglich gar nicht schlecht. Nicht nur, weil die Filme das verdient hätten, sondern auch, weil Fellini als Vorbild gebraucht wird. Dem Weltkino heute fehlen Dompteure, die „die Welt entlang ihrer Leidenschaften zähmen” (wie Frieda Grafe einmal geschrieben hat) und in der Arena nicht so sehr für Ordnung als für Leben sorgen…

(Geschrieben am 21.04.2011 für das Revolver Blog)

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