01 April, 2017

Jazz filmen, Film jazzen



Der Traum vom Jazz ist älter als Jazz. Treiben, schweben, jenseits des Plans, im Moment, in der Kunst leben. Davon handelt TOBBY (D 1961) mindestens auf zweifache Weise. Einmal, indem er den Versuch eines Jazz-Lebens dokumentiert, eines Lebens mit und als Jazz, in den Trümmern eines dunkel-schweren Deutschlands, im Berlin der frühen 60er. Und dann, weil er auch als Film wie Jazz sein will: improvisatorisch, provisorisch, jenseits der starren Noten des UFA-Kinos, das damals noch den Ton angab. Hans Jürgen Pohland ist auf Augenhöhe mit seinem Gegenstand, dem Musiker Toby Fichelscher, der sich selbst spielt und so singt, als ginge ihn der Jazz was an. Und der das Telefon klingeln lässt, weil er nicht zum Sklaven einer Karriere werden will, die ihn nichts angeht. Man staunt, wie frisch das heute noch ist: das Versprechen eines (ergebnis-) offenen Lebens, eines freien Spiels. Kein Schloss am Fahrrad, kein Kalender, keine Verabredung über den Tag hinaus. „Wie ein Tier” erscheint Tobby seinen Zuhörerinnen, „versumpft” aber anziehend. Der Film propagiert das, man meint, auch im Regisseur ein bisschen Neid zu spüren, dass Toby sich seiner Kunst so hingeben kann. Hier und da schreckt Pohland davor zurück, selbst ganz Jazzer zu werden, lässt die erwähnten Zuhörerinnen ihre Meinung druckreif aufsagen, einstudierte Steife, um einen Punkt zu machen. Ich will damit nur sagen: vielleicht enthält der Film bereits die Ahnung, dass der deutsche Film so bald nicht Jazz sein würde, auch Pohlands eigene Filme nicht. Aber noch überwiegt der Optimismus. Offene Beziehungen, offene Grundrisse. Warum angesichts der Ruinen nicht auch die überkommenen Formen des Films in Trümmer legen? Aber warum so ernst: der Film ist formal immer wieder auf Scherze aus, schneidet Pointen und Pfeile ins Verité-Programm, einmal ist die Farbe der Witz, das Solo. Natürlich, irgendwann muss der Traum enden, muss der Film enden. Das Ende ist ein (altes) Problem der Moderne. TOBBY hätte immer weitergehen, in Serie gehen müssen. Das ist nicht gelungen. So ansteckend war der neue Rhythmus, so machtlos die alte Form dann doch nicht. Wie schade! Was bleibt, ist ein Was-wäre-wenn, ein Objekt, mit dem sich eine alternative deutsche Filmgeschichte erahnen lässt, nah verwandt mit Jürgen Böttchers JAHRGANG 45 wenige Jahre später, ein weiterer Beweis für eine Zukunft, die es nie gab, aus der anderen Hälfte Berlins.

P.S.:
Heute, am 1.04.2017, wäre Toby Fichelscher 90 Jahre alt geworden. Der Text ist auf Anregung von Mareike Palmeira entstanden. Danke dafür!

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