12 August, 2016

Notaufnahme

Schon immer ist das Kino die Notaufnahme der Einsamen. Wir sinken in den Samt der künstlichen Nacht, um Gesichter aufscheinen zu sehen, vertraute Stimmen zu hören. Einmal, ca 1993, bin ich wie so oft mit dem Fahrrad von dem Zehlendorfer Schwesternheim, in dem ich als Zivi untergebracht war, ins Moviemento gefahren, um in der „langen Coppola-Nacht” alte Bekannte aus der Corleone-Familie zu treffen. Aber dieser Trost stand plötzlich in Frage, als zur Einlasszeit die Mindestzahl notwendiger Zuschauer nicht erreicht war. Die einzige andere Zuschauerin schien ebenso enttäuscht wie ich. Da beschlossen wir, für einen unsichtbaren Dritten zusammen zulegen. Zu zweit sahen wir Michael Corleone dann dabei zu, wie er nach und nach in den Schatten seiner Möglichkeiten tritt - und kamen uns näher. So habe ich einmal im Kino eine Freundin gefunden.

3 Kommentare:

  1. Einmal, 1996 in Hamburg, das Fama-Kino (gibt es nicht mehr): Der Vorführer weigerte sich bei einer Zuschauerzahl von nur drei Personen den Film zu zeigen. Vorgeführt wird erst ab vier,sagte er. Wir überredeten also eine arglose Passantin etwas dreist zu einem Kinobesuch. Ja, schnell ging das, wie bei May Spils. Aber der Vorführer weigerte sich daraufhin immer noch. Feierabend, sagte er. Gegeben wurden übrigens Schlingensiefs 120 Tage von Bottrop.

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    1. Ich hoffe, ihr habt der Passantin dann ein Glas spendiert!

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  2. Das ist wirklich ein sehr schöner Text (Notaufnahme).

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