12 Juni, 2015

no place like home

Wenn man anfängt, denkt man, das, was man gerade macht, sei eine beinahe beliebige Probe des Möglichen, die von den größeren Taten der Zukunft bald überschattet sein wird, und dass man nicht nur noch viele weitere Projekte, sondern vor allem auch Filme aller Art, in den unterschiedlichsten Tonarten und Genres wird machen und meistern können. 

Später, oft unmerklich, verengt sich die Perspektive, Schubladen tun sich auf, man soll "eine Marke" werden und muss lernen, die eigenen Grenzen zu akzeptieren. Das wäre vielleicht eine taugliche Definition von Reife: seine Grenzen kennen, und trotzdem nicht vor ihnen zurückweichen. 

Aber nicht nur die eigenen Grenzen schieben sich in den Vordergrund, auch die gesellschaftlich bedingten werden konkreter, oder jedenfalls lichtet sich der Nebel mitunter so, dass wir die Umrisse des Möglichen erahnen können. 

Es ist die (zwiespältige) Gnade demokratischer Verhältnisse, dass wir diese Grenzen kaum je nackt vor uns stehen sehen, denn natürlich ist immer zu wenig möglich, erwünscht, finanzierbar. Kunst entwickelt Kante in der Reibung mit den Tabus und Verboten ihrer Zeit. 

Wenn ich mit meiner Familie über Film spreche, dann oft in der Form eines – utopischen – Wunschkonzerts. „Mach doch mal einen Film über …” , sagen sie dann, eine Komödie, einen Kinderfilm, etwas mit Rittern, und dieses Zutrauen und auch die Robustheit dieser Wünsche gegenüber meinen eigenen künstlerischen Interessen (und den Bedingungen meiner Arbeit) rühren mich.

Auch in der größeren Familie des deutschen Kinos gibt so eine Wunschhaltung, allerdings weniger wohlwollend und mit weniger Vertrauen in meine Möglichkeiten. „Bitte eine richtige Geschichte...” heißt es dann oft, „Bitte nicht so anstrengend/ so prätentiös” und natürlich: „Nicht schon wieder Berliner Schule”. 

Der letzte Satz ist sozusagen der Klassiker, ich habe ihn immer wieder gehört - von Redakteuren, Produzenten, Kritikern, Zuschauern, Kollegen. Als vor zwei Jahren im MoMA die Filme der Berliner Schule gefeiert wurden, war die Reaktion in Deutschland eine Art Stoßseufzer. Die Musealisierung schien zu belegen, worauf alle gewartet hatten: das Ende. 

Also gut, die Schule ist aus. Jetzt kann es richtig losgehen. Mein neuer Film ist „eine Art Politthriller”, sage ich, wenn ich gefragt werde. Anders als von anderen Künstlern wird vom Filmemacher stets erwartet, dass er seine Werke kategorisiert. Aber kann man einen Politthriller machen, obwohl dieses Genre in Deutschland keinen Boden hat? 

Einerseits: ja, natürlich, warum nicht, was kümmern mich Genre-Etiketten, irgendwo muss man anfangen. Mein Olymp ist frei gewählt. Andererseits: nein, ein Genre entwächst dem kollektiven Unbewussten, braucht das Schwären einer Wunde und kommt erst in der Wiederholung zu sich. 

Unwahrscheinlich, dass „Deutschland” (oder eben jener kleine Teil der Bevölkerung, der in diesem Land ins Kino geht) auf meinen Film gewartet hat. Eher rechne ich mit dem Gegenteil: ich wollte den Film ja machen, um Bewusstsein zu schaffen. Aber so einfach ist es nicht mit der Kommunikation. Ein Thema muss „reif” sein. Wenn es überreif ist, nennt sich die Veröffentlichung „Skandal”. Das ist der Glücksfall.

Nach einer Vorführung meines Debütfilms wurde ich aufgeklärt. Ein Redakteur nahm mich beiseite, wohlwollend, so in etwa: Kino alles gut und schön, aber der Tatort sei die „Königsdisziplin”. Wer brav ist, darf einen machen. Ich bin nicht sehr Krimi-affin, ganz ehrlich. Immer dieses „Eine Leiche, wer war’s?”. 

Aber was ich jetzt erst verstehe: dass dieses Genre eine Art Heimat ist für viele, viele. Die Leute wollen es sehen, versammeln sich am Lagerfeuer dieser immer gleichen Geschichten, diskutieren die Folgen, twittern und schreiben darüber, der Spiegel macht den „Fakten-Check”. 

10 Millionen Zuschauer an einem Wochenende: davon kann das deutsche Kino nur träumen. Auch deshalb ist die Ankündigung, Tatort-Ermittler ins Kino zu schicken, irritierend. Gut, auch Schimanski war mal auf Leinwand, aber zuhause (vor dem Fernseher) wollen die Deutschen doch sehen, wie alles in Ordnung kommt, wieder und wieder, das Kino dagegen ist „eine erotische Angelegenheit” (A. Kluge), gefährlich. 

Nur die Mutigen trauen sich in die Höhle des Kinos, denn es könnte sein, dass sie etwas sehen, was sie nie mehr vergessen können...

2 Kommentare:

  1. Hallo Christoph, dieser Beitrag sollte Beleg und Motivation sein, um deinen Blog fortzuführen. Ich fühle mich hier sehr verstanden und es inspiriert mich, ihn zu lesen, auch wenn ich nicht immer Zeit finde zu antworten. Wenn ich deinen neuen Film sehe, kann ich nur hoffen, dass du nicht "brav" wirst und dich an etwaige Tatorte begibst. Wir brauchen ein unabhängiges Kino, "Anstiftung(en) zum Mord", wie Luis Bunuel einst seinen "Andalusischen Hund" nannte.

    Die gesellschaftlichen Parallelen zwischen Fabian, dem fiktionalen Reporter, und dem "untergehendem Medium" (Peter Braschl), dem Autorenfilmer, sind frappierend, wie ich finde. Beiden wird wohl tatsächlich nahegelegt, endlich Ruhe zu geben.

    Beste Grüße aus Köln,
    Rene

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  2. Lieber Rene, vielen Dank für deinen Zuspruch, freut mich zu hören. Grüße, Christoph

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