02 Januar, 2012

Szegénylegények

Diesen Namen versuche ich mir seit zwei Wochen einzuprägen. Szegénylegények ist ungarisch und bedeutet in etwa „Die Hoffnungslosen”, Titel des vierten Spielfilmes von Miklós Jancsó (auf deutsch heißt er unpassend „Die Männer in der Todesschanze”), entstanden in der Tauwetter-Periode des ungarischen Kinos, 1965.




Der Film erzählt in einer bestechend einfachen Sprache vom absurden Theater der Macht. Anhand eines KZ-System der (ungarischen) k.u.k. Militärs in den 1860er Jahren - errichtet als Antwort auf die Reste rebellischen Widerstands in Form räuberischer Banden - zeigt Jancsó, dass es nicht so sehr darauf ankommt, welche Handlungen die Macht befiehlt, als dass überhaupt Aktivität organisiert wird. Das schwer durchschaubare, ja ornamentale Vorgehen der Militärs erscheint letztlich als ein erschreckend effizientes System der Zurichtung.

Einzigartig an dem Film ist die mühelose Gleichzeitigkeit von Zeigen und Erzählen - einerseits ist Jancsó immer konkret, sachlich und einfach, andererseits ist der Film stets allegorisch lesbar und darin gewitzt und scharf. Von Charakteren im engeren Sinne lässt sich kaum sprechen, wir erleben keine „Geschichte” eines oder mehrerer Helden, sondern müssen uns wie die Gefangenen immer wieder von neuem zusammenreimen, welches Spiel gespielt wird bzw. wie die Regeln für dieses Spiel lauten. Mehrmals wechselt der Film seinen „Protagonisten”. Über eine gute Strecke folgt der Film einem Denunziaten, aber als dieser stirbt, gibt es sofort Ersatz. Der Einzelne ist austauschbar, ist Stellvertreter und Spielfigur, nicht Individuum - was nicht heißt, dass Jancsó blosse Typen zeigte. Es ist das System, das ihnen kaum mehr als einen Namen lässt.

Ich bin so begeistert von dem Film, dass ich mich darüber ärgere, ihn nicht schon viel früher gesehen zu haben, vor meinem ersten Spielfilm etwa. Ich bilde mir ein, sein Beispiel wäre mir eine große Hilfe gewesen damals. So oder so, ein Jahrhundertfilm, der zum Besten gehört, was ich je gesehen habe. Warum nur ist er nicht bekannter? Der Kanon, das zeigt dieses Beispiel überdeutlich, ist ein fragwürdiges Gebäude, das man immer wieder zum Einsturz bringen muss.

Der Film ist unter dem Titel THE ROUND-UP bei Second Run erschienen, einem Label, das sich sehr um das osteuropäische Kino verdient gemacht hat. Seit der DVD-Veröffentlichung gab es eine Reihe kritischer Würdigungen des Films, zum Beispiel von Glenn Kenny, Acquarello, Dennis Grunes, Derek Malcolm, Gordon Thomas, Kevin Wilson.

Bilder via

3 Kommentare:

  1. Lieber Christoph,

    Auf deinen Post hin, habe ich mir den Film angesehen, und bin wie du begeistert! Ich habe anschließend nochmal nachgelesen, was du darüber geschrieben hast. Ich bin mir nicht sicher, ob ich verstehe, was du mit zeigen und erzählen in dem Film meinst. Außerdem würde es mich interessieren, inwiefern das deinen ersten (Lang?)Spielfilm beeinflusst hätte.

    Vielen Dank für deinen Hinweis auf diesen Film.

    Herzlich,
    Maxi

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  2. Freut mich, dass dir der Film gefällt... Erzählen heisst für mich, die Welt der Tatsachen in den Dienst eines Zusammenhangs, an die logische Kette einer Entwicklung zu nehmen. Zeigen wäre dem entgegen gesetzt unverbunden, für sich stehend. Spielfilme wechseln üblicherweise ständig zwischen diesen Polen. Jancsó scheint mir dagegen beides zugleich zu machen. Aber das wäre vielleicht eine längere Untersuchung wert.

    Was den hypothetischen Einfluss auf meinen ersten Film betrifft, habe ich da vor allem an die Kamerasprache gedacht.

    C

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  3. Danke. Großes Lob übrigens auch für Putty Hill und Lili Lila. Zwei Filme die mich ebenfalls nachhaltig beeindruckt haben! Weiter so!

    Gruß,
    Maxi

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