„Bessern sollen uns alle Gattungen der Poesie; es ist kläglich, wenn man dieses erst beweisen muss; noch kläglicher ist es, wenn es Dichter gibt, die selbst daran zweifeln. Aber alle Gattungen können nicht alles bessern; wenigstens nicht jedes so vollkommen, wie das andere; was aber jede am vollkommensten bessern kann, worin es ihr keine andere Gattung gleichzutun vermag, das allein ist ihre eigentliche Bestimmung.”
Lessing, Hamburgische Dramaturgie, 1768.
Die Vorstellung, dass ein Medium, wenn es ganz bei sich ist, stärker wirken kann, leuchtet mir ein. Und auch, dass sich mit diesem Kern eine Art kategorischer Imperativ verbindet: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.” Aber was „gehört” dem Kino ganz allein? Wo kann es uns „am vollkommensten bessern”?
Sofort hat man „Montage” auf den Lippen; wenn vom „Wesen” des Kinos die Rede ist, wird sie zuverlässig zum Kronzeugen des Eigentümlichen gemacht. Und zweifellos spricht einiges dafür. Aber gibt es nicht auch Zusammenfügungen von Bewegtbildern, die mit der „eigentlichen Bestimmung” des Kinos nichts zu tun haben?
Ich glaube, nur eine Montage, die Materialien so kombiniert, dass der Zuschauer zu einer Synthetisierung gezwungen ist, kann dem „charakteristischen Vergnügen” des Kinos zugerechnet werden. „Perfektion ist Fantasie.”
Ich versuche kurz, die üblichen Montageprinzipien zu kategorisieren:
FLUSS
Additive (geschlossene) Montage.
Bildfolge, die offenkundige Zusammenhänge verbindet. Bewegungs- Bild- und / oder Inhaltssukzession (erwartet).
KETTE
Elliptische (lückenhafte) Montage
Bildfolge, die in der Sukzession auf Auslassungen setzt, die der Zuschauer mühelos ergänzen kann (sinngemäss erwartet)
SPRUNG
Dialektische (offene) Montage.
Bildfolge, die in ihren Widersprüchen im Zuschauer etwas drittes hervorruft / in der Synthese ihre Harmonie findet. Bewegungs- Bild- und / oder Inhaltskontraste (empathisch überbrückbar).
GEGENSATZ
Agitative (gegensätzliche) Montage.
Bildfolge, die so dissonant ist, dass sie nicht zu einem Zustand vereinigt werden kann und so eine Art ungerichtete Erregung erzeugt. Bewegungs- Bild- und/oder Inhaltsgegensätze (empathisch unüberbrückbar).
Natürlich ist kaum ein Film einer einzigen Montage-Grammatik verpflichtet - vielmehr vermischen sich alle Spielarten fortwährend. Aber nur die Kategorien SPRUNG und GEGENSATZ scheinen den Zuschauer - tiefer als in jeder anderen Kunstform - in die Herstellung der Erzählung zu involvieren. Der Zuschauer wird sozusagen zum „Erfüllungsgehilfen” des Filmemachers, der die Lücken ja konstruiert hat; im Bauen der Brücken aber kommt der Zuschauer zu sich - und mit ihm vielleicht auch das Medium.
Das betrifft natürlich nicht nur die visuelle Ebene; im Gegenteil ist eine bloss visuelle Aufrauung kontraproduktiv. Die Erzählung muss auf jeder Ebene in den Zuschauer getragen werden. Die aristotelischen Begriffe von „Verknüpfen und Lösen", „Jammern und Schaudern”, „Peripetie und Wiedererkennen” sowie „Katharsis” sind dafür nach wie vor brauchbare Stichworte, auch wenn der Weg dorthin ganz unklassisch sein kann.
Ich plädiere also für eine tiefere Verschränkung von filmischer Form und dramatischer Struktur, für eine „unauflösliche” Erzählung, die im Sehen lebendig wird. Zu viele Filme scheinen mir heute am Papier zu kleben oder aber „filmisch” gegen die auf Papier organisierte Erzählung anzuspielen. Beides ist unbefriedigend. Improvisatorische Mittel mögen stimmige Momente hervorbringen, dramatisch führen sie oft zu blosser Addition - den großen dramaturgischen Rahmen zu bedenken überfordert die Intuition und mitunter führt die Spontanität gerade in jenes Klischee, das man zu vermeiden suchte.
Ich breche hier große Fragen übers Knie, keine Frage. Es geht mir aber durchaus nicht ums Rechthaben, sondern um die Skizzierung eines Gedankens. Mehr dazu bei Gelegenheit.
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