26 Mai, 2025

Marcel Ophüls (1927-2025)

Marcel Ophüls hat etwas völlig Unwahrscheinliches geschafft: den Vater, ein Jahrhundertgenie des Kinos, im eigenen Feld herauszufordern – und dabei auf Augenhöhe zu bleiben. Dass ihm das „nur” im Dokumentarfilm gelungen ist, nicht im Spielfilm, hat Ophüls jr. ein Leben lang geschmerzt. Seine Spielfilme – das von seinem Freund François Truffaut beförderte Debüt PEAU DE BANANE (1963) war mit Belmondo und Jeanne Moreau prominent besetzt – blieben die Ausnahme, obwohl er bis ins hohe Alter davon träumte, zur Fiktion zurückzukehren. 

Als ich ihn einmal für ein Interview in München traf – im Hotel Vier Jahreszeiten, wo mich schon die Getränke an die Grenze meiner finanziellen Möglichkeiten brachten – wollte er partout nicht über seine Dokumentarfilme oder seinen Arbeitsprozess sprechen; meine glühende Bewunderung für seinen (Oscar-prämierten) Film HOTEL TERMINUS (1988; eine atemberaubende Recherche über Klaus Barbie, den „Schlächter von Lyon”) wehrte er ab, als hätte ich ihn beleidigt. Im Versuch, den Film vor seinem Regisseur in Schutz zu nehmen, meinte ich, die Spannung des Films würde Hitchcock übertreffen, worauf er erwiderte, jeder Hitchcock-Film sei ihm lieber. Das Interview, das ein Auftrag war, führte letztlich nicht zu einem druckfähigen Ergebnis. 

Seinen berühmtesten Film, LE CHAGRIN ET LA PITIÉ (1969; ungefähr: „Leid und Mitleid” – deutscher Titel: DAS HAUS NEBENAN), der in Frankreich erst zehn Jahre nach seiner umstrittenen Kinopremiere im Fernsehen gezeigt werden durfte, hat mein Menschenbild erschüttert und erweitert. Warum sind die einen so grausam wie möglich, warum riskieren die anderen ihr Leben für ihnen unbekannte Menschen? Die Fragen sind bohrend, auch wenn sie manchmal ganz harmlos klingen, die Antworten bestenfalls vorläufig, auch weil die Beweggründe oft weniger eindeutig sind, als erhofft. Ophüls ist in diesem Meisterwerk nicht – wie ihm oft unterstellt wurde – Ankläger, eher schon personifiziertes, verdrängtes Gewissen, das keine Ruhe geben will. So treten Ambivalenzen zu Tage, die viele Franzosen als Salz auf dem Zuckerkuchen der Nachkriegserzählung von einem ganzen Volk im Widerstand empfunden haben. Der Film war auch ein wichtiges Vorbild in der Entwicklung eines meiner (letztlich nicht verwirklichten) Projekte, das während der deutschen Besatzung in Frankreich spielt. Mein einstmaliger französischer Produzent wies diese Referenz übrigens empört zurück; Marcel Ophüls’ Film schien ihm „polemisch und schmutzig”, vielleicht weil er – wie es der Senderverantwortliche des ORTF, ursprünglicher Auftraggeber des Films, einmal formuliert hat – „einen Mythos [zerstört], den das französische Volk immer noch braucht”. Ich glaube überhaupt: „anti-mythisch" ist ein wichtiges Stichwort für Marcel Ophüls' Arbeit, als hätte ihm das Wissen, das er Backstage, als Assistent seines Vaters zum Beispiel, bei der Fabrikation von Mythen erworben hat, den Glauben ausgetrieben.

NOVEMBER DAYS (1991), Marcel Ophüls’ trügerisch leichthändigen Essay über die neu errungene Freiheit der Ostdeutschen und den möglichen Preis, der für den Untergang der DDR zu zahlen ist, habe ich als unglaublich hellsichtig empfunden. Ophüls war nie gewitzter oder schlagfertiger, nicht zuletzt im Interview mit dem Neonazi Michael Kühnen, den er prophetisch als Teil der neu zu verhandelnden „Gleichung Deutschland” identifiziert hat.

Unbedingt empfehlen kann ich auch THE MEMORY OF JUSTICE (1976; über Kriegsverbrechen und ihre juristische Aufarbeitung, am Beispiel der Nürnberger Prozesse, aber auch dem Vietnamkrieg; das fesselnde, entlarvende Gespräch mit Albert Speer ist ein Höhepunkt) und VEILLÉES D'ARMES (1994; über Kriegsberichterstattung im Jugoslawienkrieg und die „Feigheit der Neutralisten”). Den Film über seinen Vater, MAX PAR MARCEL (2009) und auch sein filmisches Memoir UN VOYAGEUR (2013) möchte ich bald nachholen.

Mit Marcel Ophüls am 28.01.2017 in Saarbrücken. Schnappschuss: Denis Kundic.

Zuletzt traf ich Marcel Ophüls 2017 zufällig auf dem Filmfestival Saarbrücken, das bekanntlich den Namen seines Vaters trägt. Zu meiner Überraschung – und Freude – kam er zu meinem kleinen Vortrag über MADAME DE… (Max Ophüls, F 1953) – nur um mir hinterher zu sagen, dass er mich leider wegen seiner Schwerhörigkeit nicht habe verstehen können. Wir haben uns dann noch ein paar Takte vor Publikum unterhalten über den Film, den er bewundernd-kritisch und anekdotisch zugleich in Beziehung setzte zur Film- und Geistesgeschichte, der er entstammt. Mit seinem Tod verschwindet ein großer Künstler und unruhiger Geist, ein Bindeglied zwischen Deutschland, Frankreich und den USA; es bleiben seine Filme, geprägt von Aberwitz, tiefem Erinnern und verstörender Ambivalenz. 

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