Seit heute sind die Arbeiten von Zeljko Blace, Andrew Clement, Naomi Colvin, Simon Denny, Evan Light, Geert Lovink, M.C. McGrath, Henrik Moltke, Deborah Natsios, Julian Oliver, Trevor Paglen, Laura Poitras, SAZAE bot, Stefan Tiron, University of the Phoenix, Maria Xynou und John Young auch in einer Ausstellung im Diamond Paper Studio zu sehen (Köpenicker Straße 96, 10179 Berlin, 12.-26.09.2017).
Die folgende Vorrede (≠ Vorwort) habe ich gestern in der Buchhandlung König vorgetragen.
DAS VORZEICHEN
Im Theater.
Unsere Geduld wird strapaziert.
Vorhang Vorhang Vorhang.
Ein Mann kommt auf die Bühne.
Er sagt, die Hauptdarstellerin hätte einen Unfall gehabt,
sei mit dem Fahrrad gestürzt
und hätte sich das Knie verletzt.
Sie werde spielen, aber man möge ihr verzeihen,
wenn sie gewissermassen knieschonend spielte.
Dann öffnet sich der Vorhang und die Aufführung beginnt.
Vermutlich ist die Inszenierung nicht anders als sonst,
aber durch das Vorzeichen
spielt das Knie eine Hauptrolle.
Sobald die Schauspielerin ihr Knie beugt
sind wir in heller Aufregung.
Das nur als Beispiel dafür,
dass jedes Wahrnehmen
von Vorzeichen, Vorwissen, Erwartungen geprägt wird
und ein neues Vorzeichen unter Umständen
die gleiche Handlung in ihrer Bedeutung auf den Kopf stellt,
uns neu sehen lernt.
Auch Snowdens „Vorzeichen” hat unseren Blick auf die Aufführung verändert,
so dass wir beim Anblick der Spieler heute die Hinterbühne mitdenken.
Jeder Vergleich hinkt
wie die Schauspielerin mit dem verletzten Knie
(oder haben wir uns ihr Hinken eingebildet?)
aber die Tatsache, dass wir mehr als vier Jahre später
noch immer an Snowden denken
wenn wir eine Email schreiben
oder den Aufkleber über der kleinen Kamera am Laptop abpulen
oder uns ein neues Passwort ausdenken
(mit Sonderzeichen oder ohne?)
oder ein Wort im Text von der Autokorrektur unterstrichen oder ersetzt wird
oder hören, dass am Südkreuz eine Gesichtserkennungssoftware getestet wird
und Aktivisten Masken tragen, um den Computer zu foppen
zeigt mir, dass Snowden einen Unterschied gemacht hat.
Er hat unsere Gegenwart in ein Zwielicht setzt, das unser Verhältnis zur Maschine
neu beleuchtet, es vielleicht auch hat reifen lassen.
„Die allgemeine Akzeptanz von Verschlüsselungstechnik” habe Snowden
„um sieben Jahre beschleunigt”,
meinte der ehemalige Geheimdienstdirektor James Clapper
– für Snowden ein Beweis für seine Wirkung
(ob es sich gelohnt hätte, fragen die Journalisten in einem aktuellen Interview).
Sieben Jahre –
so ein Zahlensieg ist in der Kunst rar,
aber ich glaube, das Buch zeigt, wie sich der Schock der Erkenntnis eingetragen hat
in den Spiegel der Gegenwart, der gute Kunst immer ist
– als ein Riss, der das alte Bild bedroht.
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