24 November, 2015

Tankred Dorst zum 90. Geburtstag

© Franzi Kreis


Zum ersten Mal in Berührung gekommen bin ich mit seiner Arbeit auf dem Schulweg. Der führte mich täglich am Kleinen Spiel vorbei, einer Marionettenbühne, für die Dorst in seinen Anfängen Stücke geschrieben hat. A TRUMPET FOR NAP habe ich dort gesehen zum Beispiel.

Viel später erst, an der Filmhochschule, habe ich seine Filme entdeckt. MOSCH und vor allem EISENHANS sind damals wichtige Filme für mich geworden. Aber es war sein Debütfilm, KLARAS MUTTER, der mich nicht mehr losgelassen hat. Die Präzision der Charakterzeichnung, seine erzählerische Schärfe und Schönheit machen den Film zu einem kostbaren (und bis heute beinahe unbekannten) Findling der deutschen Filmgeschichte. Ich bin immer noch stolz darauf, dass wir den Film in der Revolver DVD Edition herausbringen konnten.

Zu meinem Glück habe ich Dorst dann im Zuge eines Hochschulprojektes kennengelernt. Bis heute verbindet uns eine Freundschaft, in der Geselligkeit und Debatte ihren Platz haben. Gelegentlich lesen er und Ursula Ehler – seine Schreib- und Lebenspartnerin – Filmentwürfe von mir, und sind viel zu gnädig. Manchmal spiele ich Vermittler zur Gegenwart. Aber das ist nur selten nötig: Wer mit beinahe Neunzig noch einmal die Stadt wechselt, weil in Berlin eben mehr los ist – hat genug Beweglichkeit bewiesen.


Zum 90. Geburtstag – die Anlässlichkeit ist Tankred Dorst zwar immer lästig, aber schön ist es doch – veranstalten die Berliner Festspiele am 6.12.2015 eine Hommage, an der ich auch teilnehmen werde.

Das Interview, das ich und Nicolas Wackerbarth mit Dorst und Ehler 2008 geführt haben (im Rahmen eines Revolver Live an der Berliner Volksbühne), kann man ab sofort hier nachlesen. Erinnern möchte ich auch an Heike Hursts schöne Einführung in Dorsts filmisches Werk, die wir dort (wieder-) veröffentlicht haben.

Lieber Tankred, „wer lebt, der stört”, hast du geschrieben. Sei so lieb und stör uns noch ein bisschen länger. Erzähle weiter, jetzt erst recht. Und bleib gesund. Auf bald und alles Gute,

Christoph


Trauriger Nachtrag: 
Am 1.06.2017 ist Tankred in Berlin gestorben. Er war mir - zusammen mit seiner Frau Ursula Ehler, die ihm in Kunst und Leben symbiotisch verbunden war und der mein ganzes Mitgefühl gilt - ein leuchtendes Vorbild vor allem in der Art, der Welt und den Menschen mit freundlicher Neugier zu begegnen. 

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