16 Juni, 2012

(Wieder-) Gesehen: [3]


VENGEANCE IS MINE (Shôhei Imamura, Japan 1979)
Imamura geht mit dem Messer durch die japanische Gesellschaft. Was im Schnitt zu Tage tritt ist grausamer als der Mann, dessen Gewaltserie die Bewegung des Films bestimmt. Ein verstörendes Meisterwerk.


POSSESSION (Andrzej Zulawski, Frankreich-Deutschland 1981)
Tänzerischer, wahnwitziger Horror. Schon die ersten Einstellungen machen klar: Zulawski liebt das Monster Berlin. Das andere Monster ist dann so etwas wie eine Zugabe... Unvergesslich: wie Adjani im U-Bahnhof (Platz der Luftbrücke) dem Wahn verfällt, sich windet, zuckt und zerrt, die Milch an der Wand. „Hysteroid”.


DÉMANTY NOCI (Jan Nemec, Tschechien 1964)
Eine Flucht, ein Strom an Bildern, Erinnerungen, Splitter, der Rhythmus des Laufens, Hindernisse, Verfolger, Hunger, Schmerz. Vergeblich. Von deutschen Greisen, launigen alten Jägern, werden die tschechischen (jüdischen) Sträflinge schließlich gefangen. Ein tödlicher Kontrast.


UNE AFFAIRE DES FEMMES (Claude Chabrol, Frankreich 1988)
Trügerischer Konventionalismus. In den ersten zehn Minuten habe ich alle Hoffnung fahren lassen, der Film könnte „besonders” sein. Aber die Bescheidenheit der Mittel erweist sich als richtig. Es geht um eine vulgäre Frau, gespielt ohne jeden Rabatt, Isabelle Huppert und Chabrol schielen nicht auf Sympathien. Gerade deshalb ist das Schicksal der Frau – das Vichy-Regime gebraucht sie als Exempel – so stark und empörend.


MARKETA LAZAROVÁ (Frantisek Vlácil, Tschechien 1967)
Das Mittelalter als Gedicht. Raunen und Flüstern, die Sprache schwebt, trifft nur gelegentlich die Lippen. Aber die Szenen sind alles andere als Idyllen. Wölfe im Winter. Überfälle. Aberglaube. Ein Tyrann im Dunkeln. Eine Romanze neben dem Schrecken. Ich habe selten eine Einfühlung in die Ritterzeit gesehen, die so glaubwürdig war.


BLACK RAIN (Shôhei Imamura, Japan 1989)
Ein täuschend „japanischer” Film zunächst, aber im Kleid der Zurückhaltung dringt der Schrecken noch tiefer. Der Schrecken, das ist Hiroshima, oder besser: das sind die Anderen. Alles dreht sich um eine (unterstellte) Vergiftung, eine Krankheit, die man nicht sehen kann und die alles zersetzt: Gemeinschaft, Hoffnung, Liebe. Der Film wird so im Verlauf immer expressiver, unklassischer, der Zweifel setzt sich in der Form fort.


CSILLAGOSOK, KATONÁK (Miklós Jancsó, Ungarn 1967)
Nachdem mich SZEGÉNYLEGÉNYEK ergriffen, begeistert, verändert hat, war dieser so ähnliche, direkt danach entstandene Film eine große Enttäuschung. Alles ist Vorwand hier - für ein formales Programm, das sich längst abgelöst hat von seinem Gegenstand. Die geschichtsphilosophischen (Anti-Kriegs-) Pointen sind stumpf, der Plot ist ornamental. Schade.


YEAR OF THE DRAGON (Michael Cimino, USA 1985)
Ein interessanter Hybrid. Auf der einen Seite eine altmeisterlich bestechende Handwerklichkeit, wie sie in Hollywood heute unbekannt ist. Die Regie der Massenszenen ist kraftvoll und genau, die Dialogszenen sind elegant choreographiert, wobei der Film nicht so sehr auf einen fliessenden Zusammenhang als auf ein Nebeneinander der Szenen oder set pieces aus ist. Auf der anderen Seite stehen pathologische Comic-Charaktere (Drehbuch: Oliver Stone) die auf den Schienen des Plots fahren wie Skelette in der Geisterbahn. Mickey Rourke als „Stanley White”, eine Art gewaltbessesener Supercop, kann sich vor lauter Machismo kaum bewegen; sein love interest (gespielt von Ariane) ist die entsprechende Männerfantasie, kippt zwischen Mutter und Hure, Profi und Amateur... sehr 80er Jahre.


POETRY (Lee Chang-Dong, Südkorea 2010)
Ein Film, der ziemlich glatt aufginge in den Erwartungen des gehobenen Arthouse-Kinos – eine Frau findet Poesie, während sie ihr Gedächtnis verliert – wäre da nicht diese Darstellerin (Yun Junghee), die den gesuchten Konflikten und herbei konstruierten Wendungen der Rahmenhandlung (Vergewaltigung, Sprachlosigkeit, Verdrängung), die die Süße der titelgebenden Idee kontern soll, ganz ungefällig und eigensinnig begegnet. Alles passiert ihr, sie ist eine staunende Fremde in ihrem Leben, und mit dieser Reserve rettet sie den Film vor der Prätention.

*

Eine Zugabe, die nicht ganz in die Reihe passt:


RESCUE DAWN (Werner Herzog, USA 2006)
Ein Film, der „einfach nur” seine Geschichte erzählen will. Die wahre Begebenheit ist tatsächlich „unglaublich”, die Schauspieler sind großartig, Christian Bale liefert im wahrsten Sinne eine tour de force, aber filmsprachlich geht Herzog hier einmal mehr zu Fuß. Das betrifft nicht nur die Kameraarbeit, die sozusagen „dokumentarisch” auf das reenactment des Tatsachenberichts reagiert und in gelegentlichen Landschaftsschwenks an beliebige Natur-Dokus erinnert – sondern auch die Charakterzeichnung, die szenische Ausgestaltung. Alles ist linear und additiv, verdichtet sich nie zu einer Metapher, die über ein großgeschriebenes „Überleben!” hinausginge.

5 Kommentare:

  1. Ach, sowas solltest du öfter machen. Das ist wirklich sehr interessant und macht Lust darauf die Filme zu sehen.
    Leider sind die Filme welche mich besonders interessieren würden ( Black Rain, Vengeance is mine ) nicht erhältlich ).
    Aber immerhin Possession
    Grüsse
    Benny

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  2. Bei der Szene aus Possession handelt es sich, soweit ich weiß, um den U-Bhf Platz der Luftbrücke.

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  3. @Jentsch

    Alle Filme sind legal erhältlich, wenn auch nicht immer mit hiesigem Region-Code. Imamura ist bei Criterion erschienen, die tschechischen und ungarischen Filme bei Second Run, Chabrol, Zulawski, Dong-Lee, Cimino und Herzog sind (auch) hierzulande herausgebracht worden.

    @Florian

    Danke ... Ich habe eben noch mal nachgesehen. Es ist der Platz der Luftbrücke.

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  4. auch von meiner seite danke – gerne öfter. der regisseur von "poetry" heißt lee chang-dong (lee als familienname vorangestellt, wie bei der erwähnten hauptdarstellerin. zur kritik: ihre besondere qualität, die vor der prätention rettet, ist glaube ich durchaus in die rolle eingeschrieben, die man zugegeben auch plausibel umsetzen muss).
    die ausgesuchten drehorte von "possession" haben ja alle eine gewisse pilgerstätten-qualität, und die meisten sind bekannt oder leicht zu finden. meine frage: wo genau ist die schule?

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  5. Danke für die Namenskorrektur, habe ich irgendwo falsch abgeschrieben. Zum Ort der Schule weiß ich nichts, müsste ich mir noch mal ansehen. Wie anders Berlin damals war ... so homogen grau, kulissenhaft. Aufregend.

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