21 Februar, 2024

Frankfurt schaut einen Film


Die Idee ist einfach und bestechend. An einem Tag in vielen Kinos einer Stadt einen Film zu zeigen, der in eben dieser Stadt spielt – als Einladung, ins Gespräch zu kommen über Stadt, Film und Leben. Seit 2016 gibt es in Hamburg „Eine Stadt sieht einen Film”, seit 2022 „Frankfurt schaut einen Film”. 

Ich freue mich sehr, dass mein Film UNTER DIR DIE STADT (D 2010) am Sonntag, den 17.03.2024 Gegenstand und Katalysator einer Unterhaltung in und über Frankfurt sein wird. Das komplette Programm findet sich hier. Neben meiner Person werden auch Produzentin Bettina Brokemper, Hauptdarsteller Nicolette Krebitz und Robert Hunger-BühlerDrehbuchautor Ulrich Peltzer und Kameramann Bernhard Keller anreisen und an Gesprächsveranstaltungen teilnehmen. Außerdem sind Teammitglieder aus Frankfurt dabei, u.a. Location Scout Yvonne Wassong und Motivaufnahmeleiterin Christiane Zietzer.

Ich werde um 11 h im Filmmuseum / Deutsches Filminstitut zusammen mit Ulrich Peltzer und der Sammlungsleiterin des DFF, Eva Hielscher, ein Werkstattgespräch machen („Von der Idee zum Film”), um 14:45 h im Cinestar Metropolis mit Mirco Becker (Damals in Frankfurt) über den Schauplatz Frankfurt sprechen („Wie dreht man in einer Stadt der Kontraste?”), und natürlich bei der von Heiko Hanel moderierten Abschlussveranstaltung um 20:30 h im Cinéma Frankfurt dabei seinVielleicht sehen wir uns? 

Weitere Veranstaltungen im Rahmen von frankfurtschauteinenfilm.de:

12 h, Pupille – Kino in der Uni

„Unabhängiges Produzieren: Bettina Brokemper im Werkstattgespräch.” Moderation: Anna Schoeppe (Geschäftsführerin Hessen Film & Medien)

13 h, Mal Seh'n Kino

„Die Stadt im Spiegel – Kameraperspektiven.” Kameramann Bernhard Keller im Gespräch mit Jörg Geißler (BVK)

14.30 h,  Harmonie Kino

„Ich wollte eigentlich über Liebe reden, aber ich glaub's mir nicht.” Toxische Beziehungen im Film. Lesung & Filmgespräch mit Robert Hunger-Bühler, Jill Stickler (Mod., FemSex-Kollektiv)

14.30 h, Treffpunkt: Commerzbank Tower, Kaiserstr. 16, 60311 Frankfurt. 

„Stahlbeton und Glasfassaden.” Drehortführung mit Christiane Zietzer (ehem. Motivaufnahmeleiterin), Yvonne Wassong (ehem. Location Scout), Felix Fischl (Mod., Filmhaus Frankfurt).

17 h, Filmforum Höchst

„Bilder zeigen Zwischenwelten.” Vorgespräche und Filmvorführung mit Kameramann Bernhard Keller, Sabine Hoffmann (Gallus Zentrum), jugendliche Workshopteilnehmende, Sabine Imhof (Moderation, Filmforum Höchst)

18 h, Orfeos Erben

„Machtmissbrauch beim Film.” Filmvorführung & Diskussion mit Produzentin Bettina Brokemper (Heimatfilm)


Siehe auch: Programmflyer als PDF

12 Februar, 2024

Auf Distanz


Drei Angehörige einer deutschen Propaganda-Kompanie drehen eine Kamerafahrt in einer Produktionshalle im Warschauer Ghetto, in der Juden Zwangsarbeit verrichten. Dieses unscheinbare Bild habe ich kürzlich in Warschau im Museum der Geschichte der polnischen Juden gesehen und es hat einen besonderen Eindruck auf mich gemacht. Natürlich, weil es meine Profession berührt, aber nicht nur. 

Die drei Männer in Uniform nutzen eine Rikscha mit Luftreifen, um eine möglichst sanfte Kamerabewegung zu gewährleisten. Sie haben aus der Welt, die sie filmen, einen beliebigen Gegenstand gemacht. Die Geräte helfen ihnen, die Realität auf Distanz zu halten. Natürlich wissen sie, dass die Jüdinnen und Juden unterernährt sind, dass sie Sklavenarbeit leisten und ihr Tod beschlossene Sache ist. Von den 500.000 ins Warschauer Ghetto verbrachten Menschen haben nur wenige Tausend überlebt.

Trotzdem arbeiten die Männer sorgfältig an der Fiktion einer akzeptablen Ordnung. Sie wissen, dass die Wirklichkeit des Ghettos „dem Zuschauer” nicht zumutbar ist. Wahrscheinlich hat man die „Darsteller” vor dem Dreh ausgewählt, ihnen geholfen, ihre Kleidung aufzubessern, vielleicht wurden sie für den Zweck sogar geringfügig besser verpflegt. Es wäre nicht gut fürs Bild, wenn die Not offensichtlich wird. 

Rivettes Aufsatz „über die Niedertracht” fällt mir ein. Auch Rivettes Kritik galt einer Kamerafahrt (und der ästhetisierenden Rekadrage auf eine Sterbende), allerdings in einem Spielfilm, der das Schicksal einer Jüdin in einem Todeslager mit den Mitteln des Publikumskinos schildert, mit Rabatt sozusagen, inklusive Liebesgeschichte. Aber wenn diese sympathisierende Fiktion niederträchtig war – und ich finde, Rivette hat einen Punkt – was ist dann das Verhalten der PK-Leute?

Bewusst falsches Zeugnis zu geben von der Vernichtung, und so den reibungslosen Ablauf des Tötens zu befördern, ist seinerseits ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit – und wiegt kaum weniger schwer als der Massenmord, finde ich. Denn diese Männer hatten das Wissen und die Mittel, die Situation zu erfassen. Sie haben Bilder und Töne aufgenommen und dieses Material nach Massgabe der Wirksamkeit verändert, der Wirklichkeit oft völlig entgegengesetzt. Die menschenfeindliche Abstraktion ihrer Weltanschauung entsprang nicht der Bequemlichkeit des Zuhauses, in dem es ein Leichtes ist, das Unglück der Anderen auf Abstand zu halten; sie abstrahierten inmitten des Leidens.

Die Täter sind straffrei geblieben. Viele Mitglieder der Propaganda-Kompanien haben nach 1945 große Medienkarrieren in der BRD gemacht, bei Spiegel (1, 2), SternQuick und ZDF zum Beispiel. Gut möglich, dass sie ihre während des Krieges erworbenen Erfahrungen als „wertvoll” empfunden haben. Gut möglich auch, dass das so erworbene Handwerkszeug bis heute nachwirkt. Ich meine damit nicht, dass sich die NS-Propaganda nahtlos fortgesetzt hätte. Sehr wohl aber die „professionelle” Sachlichkeit – die Fähigkeit, zu allem auf Distanz zu gehen – und keinen Unterschied zu machen, wer Auftraggeber ist und was der Gegenstand des Interesses. 

Ich verstehe das Foto als eine Warnung. So flexibel ist der Mensch, sagt es, so grausam – und so gerne „neutral”, auch und gerade im Angesicht leidender Mitmenschen. 


Siehe auch: *

Die Gründe

Ein Bild aus Sam Fullers WHITE DOG (USA 1982).

Die Gründe, warum Leute eine Partei wählen, werden überschätzt. Es geht dabei nur am Rande um etwas Gedachtes. Ganz bestimmt spielen Sachthemen, im Sinne von passenden Antworten auf konkrete Probleme, eine untergeordnete Rolle. Niemand analysiert seine Situation, gewichtet seine Bedürfnisse und leitet daraus eine Partei-Entscheidung ab, Wahl-o-mat hin oder her. 

Viel eher geht es um Zugehörigkeit, um einen Gefühlsverkehr, der beinahe zufällig politische Lösungen berührt. Das ist im Kern irrational, und erst in der Erzählung („Warum ich XY wähle”) wird dieses Gefühl rationalisiert, und mit Argumenten und öfter noch Schein-Argumenten unterfüttert. Das wissen natürlich auch die Politiker, die meist allgemein um Zustimmung und nur ganz selten für konkrete politische Projekte werben. 


Dass die politischen Vorschläge der AfD den konkreten Interessen ihrer Wähler entgegengesetzt sind, fällt bei einer – vorerst – reinen Oppositionspartei noch weniger auf als ohnehin schon.


Gleichzeitig leben wir in der Illusion, dass „Debatten” so etwas wie gesellschaftliche Verständigung strukturieren. Das ist aber nur zum kleinsten Teil der Fall. Im Gegenteil belohnen wir permanent die mit Aufmerksamkeit, die unsere Überzeugungen nicht herausfordern. 


Entsprechend sind Wahlen eher aus anderen Gründen wichtig als allgemein anerkannt. Überschätzt wird die Entscheidung, die Fähigkeit der Wahlberechtigten, das Richtige zu erkennen. (Übrigens können auch gut informierte Wähler nicht hellsehen.)


Eine Wahl ist zentral für eine Demokratie vor allem, weil sie Garant der relativen (d.h. zumindest der personellen) Diskontinuität von Macht ist. Zweitens ist es ein Verfahren der Legitimierung. Welche Macht unterbrochen und welche Macht legitimiert wird, ist relativ gesehen unwichtig, jedenfalls so lange es eine grundsätzliche Bereitschaft gibt, innerhalb des Systems / der demokratischen Regeln zu spielen. 


Gerade das macht die AfD so problematisch, denn ob sie auf dem berühmten „Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ steht, daran gibt es erhebliche Zweifel, und ihr Appeal hat ganz wesentlich mit diesen Zweifeln zu tun. 


Auf die zahlreichen performativen Widersprüche der AfD hinzuweisen, mag helfen, die Anziehung auf diejenigen zu mindern, die nach Argumenten suchen. Das ist aber nur eine kleine Minderheit. Und es ist allemal leichter, die Wähler zu täuschen als sie davon zu überzeugen, dass sie getäuscht wurden (danke an Mark Twain). Je größer die Täuschung, desto schwieriger, weil solcherart Erkenntnis den Stolz verletzt. Selbstkritik setzt Selbstbewusstsein voraus, das AfD-Wähler eher nicht haben (nicht umsonst fühlen sie sich permanent gekränkt und benachteiligt). 


Noch weniger erreicht man mit Wählerbeschimpfung. Im Gegenteil verfestigt man damit womöglich das Wir-Gefühl. So kann man der Partei also nicht beikommen. 


Was also tun? Ich glaube, kein gegen wird je so viel emotionale Kraft wie ein für entfalten. Und auf dem Feld des für sieht die politische Konkurrenz gerade ziemlich blass aus. 


Aber ist nicht gerade die AfD eine Anti-Partei? Gegen Flüchtlinge, den Islam, die EU, gegen „alte Eliten“ usw? Jein. Man muss verstehen, dass der völkische Kern der AfD große Strahlkraft hat, aus mindestens zwei Gründen: er wirkt - frisch vom Tabu befreit - relativ neu. Und er sagt den Wählern: ihr seid gut, besser als die Anderen, vielleicht sogar: auserwählt. Wie definiert Don Draper in MAD MEN gute Werbung? Dem Kunden zu versichern: „You are okay.“ Das macht die AfD sehr gut – natürlich nur für ihr Klientel.


Welches für haben die etablierten Spieler dem entgegen zu setzen? In jedem Fall diffusere Erzählungen, nicht zuletzt, weil sie zu einem erheblichen Teil Verantwortung für unsere politische Gegenwart tragen. Und auch Parteien in der Opposition haben eher komplizierte Erzählungen im Angebot, denn die Probleme sind zu groß, als dass man überzeugend ein „Alles wird gut“ anstimmen könnte. 


An diese Vernunft fühlen sich populistische Parteien nicht gebunden, ihr Verhältnis zur Macht ist zynisch.


Noch einmal gefragt: Was tun? Wir müssen an einem für arbeiten, das zugleich Argument und Gefühl ist, fürchte ich. An einer Erzählung, die nicht diffus „gegen rechts” sondern für den Wandel ist. Und die ausgehend von der Wirklichkeit einen Weg beschreibt, der real ist und positiv in die Zukunft reicht. 


Es muss dabei unbedingt um eine Zukunft gehen, in der sich alle wiederfinden können – denn wenn wir den Universalismus aufgeben, hat uns die Rechte da, wo sie uns haben will: auf der Seite der Privilegierten, der liberalen Elite, der Globalisierungsgewinnler. 


(Auf Facebook geschrieben am 30.09.2020, aus aktuellen Gründen hervorgekramt) 


P.S.:
Beim Studium der jüngsten Wahlergebnisse hat mich, angesichts der großen Zuwächse der AfD in Marzahn, eine Art Schauder erfasst. Plötzlich dachte ich, dass es darum vielleicht geht: den satten Bürgern in den schönen Altbauwohnungen, also mir zum Beispiel, einen Schrecken einzujagen, als Antwort auf die Verachtung, die die „Abgehängten” erleben, während wir im Diskurs, in der offiziellen Kultur vorkommen und uns von der Politik, die von Leuten wie uns gemacht wird, vertreten fühlen dürfen. Das würde (teilweise) erklären, warum das politische Personal der AfD, trotz der Tatsache, dass es sich regelmässig gegen die Interessen ihrer Wähler äussert, als „Alternative” erlebt wird. Die politischen „Orks” der AfD haben keine Manieren, von Anstand ganz zu schweigen, aber wenn man bitter geworden ist und längst aufgehört hat, von der Politik etwas zu erwarten, kann man sich zumindest über die Angst freuen, die sie auslösen – und sich über diesen Umweg ermächtigt fühlen.


Siehe auch * und **

P.S.2:


Auf Facebook geschrieben am 19.11.2020:

Polymorph Rechts

Die AfD war nie Ausdruck eines konkreten politischen Projekts. Sie wurde und wird getragen von diffusen Ängsten und der Lust, daraus politisch Kapital zu schlagen. Ist das eine Thema totgeritten, wird ohne viel Vertun umgesattelt, ganz gleich, ob das einen Richtungswechsel bedeutet oder nicht. Anti-Euro, Anti-Einwanderung, Anti-Merkel, Anti-Islam, und jetzt eben Anti-Corona. Dass man zuerst schärfere Maßnahmen gefordert hatte, und jetzt den „Querdenkern“ eine politische Heimat sein will, passt ins Bild. An einem Tag verharmlost man die NS-Geschichte, fordert eine „geschichtspolitische Wende um 180°“, am anderen vergleicht man sich mit NS-Opfern und erkennt gegen jede Plausibilität im Infektionsschutzgesetz Parallelen zur „Ermächtigung” Hitlers. Man identifiziert sich (scheinbar) mit Sophie Scholl und verhöhnt im nächsten Augenblick und auf diese Weise doppelt die Opfer der NS-Verfolgung. Man gründet eine Gruppe „Juden in der AfD“ und wählt offene Antisemiten in höchste Parteiämter. Die Partei trägt faschistische Züge, ja, sie pfeift auf demokratische Institutionen und normalisiert völkische Ideen, aber sie bricht auch opportunistisch mit manchen Blut-und-Boden-Standards der traditionellen Rechtsextremen, die zwar eine starke Kraft in der Partei sind, die „undeutsche“ Flexibilität aber vorerst brav ertragen, womöglich im Glauben, dass die Partei, wenn die Zeit gekommen ist, diese ideologische Spreu schon abstreifen werde. Dabei ist die AfD, darin eher Symptom als Erfinder, polymorph rechts, labt sich an der Protestenergie verschiedenster Quellen, ohne Skrupel und ohne überhaupt den Versuch zu machen, zu einer kohärenten Position zu kommen. Trumpismus, ganz ohne Trump. Ich glaube, diese maximal ambivalente „phantompolitische” Kommunikation ist auch das Geheimnis ihres Erfolges. Nicht nur weil sie so die Zustimmung ganz verschiedener Milieus ernten kann, die zwar im weitesten Sinne anschlussfähig an die Formel vom „volkstümlichen Protest” sind, aber eben niemals auf eine gemeinsame realpolitische Sache hinauslaufen – sondern auch, weil die Entleerung der Diskurse die AfD gegen sachliche Kritik weitgehend immunisiert. Es geht nicht um eine Sache, ein Argument, ein Anliegen, sondern um „authentische” Erregung als eine heiße Luft, die den Ballon der Wahrnehmung bläht. Der ehemalige Pressesprecher der AfD, Christian Lüth, hat das ganz richtig zusammengefasst: „Je schlechter es Deutschland geht (oder, sollte man hinzufügen, je schlechter sich Deutschland fühlt), desto besser für uns.“

11 Februar, 2024

Winzige Tropfen

Die Fotografie als Medium (und „Wunder“) ist vor lauter Erfolg beinahe unsichtbar geworden. Nach dem foto-chemischen ist inzwischen auch der foto-optische Prozeß technisch überholt. Kameras der nächsten Generation werden Bilder nicht mehr belichten, sondern anhand von Messdaten potentialistisch errechnen – sofern die „Fotos“ nicht gleich einem Prompt entspringen.

Besucherinnen einer Landwirtschaftsmesse in München, 1935 (1)

Beim Sichten der fotografischen Hinterlassenschaften meines Großvaters (1901-1983) ist mir neu bewusst geworden, was für eine „unnatürliche“ Sensation es war, Momente mit Hilfe lichtempfindlicher Substanzen „einzufrieren“. Besonders faszinieren mich dabei die Aufnahmen, deren Inhalte nicht eindeutig zu bestimmen sind. Nicht im Sinne einer Abstraktion der Bilder, sondern in Bezug auf ihre Erzähl- oder Belegabsichten.

Besucherinnen einer Landwirtschaftsmesse in München, 1935 (2)

Zum Beispiel diese, nun ja, Schnappschüsse vom Besuch einer Landwirtschaftsmesse in München, ca. 1935 (1 & 2). Oder das Bild einer Frau, die die Münchner Theresienstraße überquert, aus dem Jahr 1938 (3). Oder natürlich Porträts (4-7), mit mehr oder weniger willigen Objekten, darunter meine Großmutter (letztes Bild, frühe 1930er Jahre). Winzige Tropfen, als Proben dem unumkehrbaren Fluss der Zeit entnommen.
Frau überquert die Münchner Theresienstraße, Ecke Türkenstr.?, 1938 (3).
Mädchen in BDM-Uniform.
Eine Freundin der Familie, Weihnachten 1937.
Meine Großmutter Katharina, Anfang der 30er Jahre.