29 Dezember, 2024

„Bis ans Ende der Nacht” @ ARTE


Sendehinweis: Mein Film BIS ANS ENDE DER NACHT (D 2023) wird am Mittwoch, den 05.02.2025 um 20.15 h auf ARTE ausgestrahlt und parallel auch in der ARTE Mediathek verfügbar sein.

Darsteller: Timocin Ziegler, Thea Ehre (die für ihre Darstellung den Silbernen Bären gewonnen hat), Michael Sideris, Rosa Enskat, Aenne Schwarz, Ioana Iacob, Gottfried Breitfuss, Ronald Kukulies, Sahin Eryilmaz, Andreas Grusinski, Kasem Hoxha u.a.

Produktion: Bettina Brokemper, Regie: Christoph Hochhäusler, Drehbuch: Florian Plumeyer, Besetzung: Ulrike Müller, Kamera: Reinhold Vorschneider, Ton: Jörg Kidrowski, Szenenbild: Renate Schmaderer, Kostümbild: Ulrike Scharfschwerdt, Maskenbild: Elisabeth Dietrich, Montage: Stefan Stabenow, Sounddesign: Matz Müller & Rainer Heesch, Mischung: Hubertus Rath, Musik Supervision: Martin Hossbach, Colorist: Dirk Meier.

28 Dezember, 2024

Zu Gast bei „Vollbild”


Ich war zu Gast in der Sendung „Vollbild” @ Deutschlandfunk Kultur, um mit Patrick Wellinski und Anke Leweke über den deutschen Film zu sprechen.

Rückblick: Deutsches Kino 2024 – Die Geschichten, die es (noch) nicht erzählt.

Sendung vom Samstag, 28.12.2024, 14:30 Uhr (der Beitrag ist auch online abrufbar).

07 Dezember, 2024

(Wieder-) Gesehen [23]


SANSHO DAYO – EIN LEBEN OHNE FREIHEIT (Kenji Mizoguchi, Japan 1954)


Eine Welt in Auflösung: nach der Entlassung und Verbannung des Vaters, einem Gouverneur, dem man seine Milde im Umgang mit den Bauern zum Vorwurf macht, begeben sich Mutter, Amme und die beiden Kinder auf den Weg zum Haus des Großvaters. Nicht nur werden sie nie ankommen, sondern auch alles verlieren, was man verlieren kann: Freiheit, Hoffnung und einige auch ihr Leben. Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt, und warum Mitgefühl die zentrale zivilisatorische Kraft ist, davon erzählt der Film auf unvergleichliche Weise. Danke für das Vorbild, Sensei.


Bill Douglas’ Schottische Trilogie: MY CHILDHOOD (Bill Douglas, UK 1972) / MY AIN FOLK (Bill Douglas, UK 1973) / MY WAY HOME (Bill Douglas, UK 1978)

Die drei mittellangen Filme (46 Min, 55 Min, 71 Min) reihen narrativ weitgehend unverbundene Szenen, freie Radikale; dabei geht es weniger um Ereignisse oder Erinnerungen per se als um Gefühlskonstellationen, die sich oft um einen Gegenstand herum kristallisieren. Viel trostloser und verhärmter kann man sich ein Aufwachsen nicht vorstellen, als diese Kindheit in der kleinen schottischen Bergbausiedlung, Bill Douglas' Kindheit. Die seelische und materielle Not ist niederschmetternd – aber die Filme sind es nicht. Vielleicht, weil die Rekonstruktion selbst zum Beweis einer Bewältigung wird, einer „Menschwerdung”, die um so mehr beeindruckt, als Douglas Selbstmitleid völlig fremd ist. Ein epochales, emanzipatorisches Werk. 


Lesetipp: Nicolaus Perneczky über die Trilogie.



A QUIET PASSION (Terence Davies, UK 2016)


Wie tief empfunden diese Künstlerinnenbiografie ist, kann man anhand der Dialogregie erahnen, bei der man Terence Davies gewissermaßen mitsprechen hört – oder jedenfalls schien mir seine sehr eigentümliche Kadenz immer wieder durchzuscheinen. Er hat sich offensichtlich wiedererkannt in dieser unwahrscheinlichen Dichterin, die Cynthia Nixon aufregend-kippelig zwischen Rebellion und Rückzug spielt. Nach Davies' Lesart ist Emily Dickinsons Kunst nicht Wille und Vorstellung sondern ein trotziges Leiden an den eigenen Möglichkeiten, und dieses Nicht-anders-können ist sehr berührend, auch und gerade, weil sie ihr „Jammertal” mit scharfem Witz bekämpft und verteidigt. 


BULLITT (Peter Yates, USA 1968)

In der Art, wie hier realistisches Detail und Coolness, aber auch Empfindsamkeit und Männlichkeit neu arrangiert werden – analog zu Lalo Schifrins treibender, schwereloser Musik – entsteht ein stilistisches Modell, in dem Plot und Figuren zu einer flächigen, leicht entrückten Erfahrung werden. Die Männer, und insbesondere Steve McQueen, werden zwar empfindsamer, zweifelnder, gefährdeter gezeigt als das im amerikanischen Genrekino zuvor üblich war, Frauen aber bleiben Staffage. Jacqueline Bisset ist Objekt einiger skizzenhaften Andeutungen, um den sozialen Raum des Helden zu markieren, eine echte Beziehungsebene gibt es nicht. Um zu verhindern, dass das Übergewicht der visuellen und rhythmischen Delikatesse – man könnte auch sagen: der „Effemination” der Form – affektiv ins Leere läuft, forciert Yates die Gewalt, die vergleichsweise drastisch ausfällt. Michael Mann hat diese Genre-Balance eine Dekade später weitergeführt, u.a. die Barszene in THIEF und das Flughafen-Finale in HEAT sind im Grunde BULLITT-Variantionen. 

Was macht aber nun eigentlich die Coolness aus, die auch heute noch Schauer der Bewunderung auslöst? Und was liesse sich über Steve McQueen sagen, außer, dass er eine Klasse für sich war, definition of cool? Es gibt eine Spur in Quentin Tarantinos schönem ONCE UPON A TIME IN HOLLYWOOD. Leonardo Dicaprio spielt dort einen abgehalfterten Schauspieler, der in einer Szene davon erzählt, wie er sich für kurze Zeit hatte Hoffnung machen dürfen, Steve McQueen in THE GREAT ESCAPE zu ersetzen. Tarantino bebildert diese „Cinema Speculation” mit Filmausschnitten, indem er Dicaprio in eine Szene des Sturges-Film montiert. 

Natürlich, Dicaprio spielt hier einen Schauspieler aus der zweiten (oder dritten) Reihe, er soll also womöglich gar nicht als die bessere Wahl erscheinen, aber es ist doch interessant, die beiden zu vergleichen. McQueens Coolness erweist sich als ein Absehen von Schnörkeln, als eine bestimmte Art der Nonchalance im Angesicht des Todes, als ein Trotz, der sich charismatisch-körperlich mitteilt. Dicaprios Spiel scheint dagegen aus einer Fülle von Überlegtem, aus Ticks und Tricks zu bestehen, die sich nie zu einem Ganzen formen. Das soll ihn nicht herabwürdigen, mir macht seine eklektische Spielweise in dem Film Freude – nur cool ist sie eben nicht.


THE FACE OF ANOTHER (Hiroshi Teshigahara, Japan 1966)


Erscheinungen, Zuschreibungen, Freiheiten unter der Maske: ein faszinierendes Gedankenspiel über die Frage, was ein Gesicht sagt, und wie fest es verbunden ist mit unserer Identität. 


SILENT CITY DRIVER (Sengedorj Janchivdorj, Mongolei 2024)


Schuld und Sühne im Ulan Bator der Gegenwart, mit einem hypnotischen Hauptdarsteller (Tuvshinbayar Amartuvshin), dessen El Greco-Proportionen die Leinwand sprengen. Janchivdorjs Stil ist exzentrisch, so manche Einstellung setzt ungewöhnliche Prioritäten, etwa indem scheinbar nebensächliche Objekte ganz nahe am Objektiv die Handlung in den Hintergrund drücken, aber nicht um vom Wesentlichen abzulenken, schien mir, sondern um die Kinowahrheit zu vertiefen. Denn Deformation, die Gewalt der Verhältnisse, die Normalität als Ausnahmezustand, ist Thema dieses dunklen Märchens. Das Ergebnis ist faszinierend fremd, und auch wenn man Einflüsse oder Parallelitäten ausmachen kann – ich musste manchmal an Leos Carax' HOLY MOTORS, an Jean-Jacques Beinix' DIVA und an Yi'nan Diaos FEUERWERK AM HELLICHTEN TAGE denken – ist das eine einzigartige, neue Handschrift.



THE APPRENTICE (Ali Abbasi, USA 2024) 


Die Cohn-Figur hat Kraft. Der militante Nihilismus, der ihn panzert, dahinter aufschimmernd eine privilegierte jüdische Kindheit einerseits, das Wissen um seine Außenseiterrolle als Homosexueller (und als ungeliebtes Kind seiner Mutter) andererseits, sein untrügliches Gespür für die Schwächen der anderen, sein immer auch spielerischer Sadismus, der stets zur Stelle ist, die erkannten Schwächen zu benutzen, die atemberaubenden Widersprüche, die er in sich vereint, die Würze seiner Sprache auch - all das spielt Jeremy Strong mit hypnotischer Überzeugungskraft. Kein Zweifel, diese Figur ist die Kinokarte wert.


Man kann eine Weile lang auch verstehen, was die (Filmversion von) Cohn daran reizt, den jungen Tölpel Donald Trump (wie Sebastian Stan ihn spielt) zu seinem Lehrling zu machen. Aber sobald der Film von Cohns dunkler Energie auf Donald Trump selbst zu fokussieren beginnt, geht ihm die Luft aus. Denn Trump im Film wie im Leben kennt keine Fallhöhe, hinter seiner Maske ist dieselbe Leere wie außerhalb, es gibt nichts zu entdecken oder zu zeigen. Trumps Grausamkeiten fehlt jeder Witz, jedes Gespür auch für das Gegenüber, sein Realitätssinn ist unterentwickelt, seine Waffen sind so stumpf wie seine Ideen – kurz, alles, was Cohn zu so einem faszinierenden Bösewicht macht, geht seinem Lehrling ab.


Warum sollen wir uns für ihn interessieren? Natürlich: weil er geworden ist, was er geworden ist – aber im Kino kann das nicht genügen. Und so fühlt es sich an, als würde der Film vom Kino ins Fernsehen wechseln, in eine billige Serie, und Abbasi betont das noch, in dem er weite Teile der Trump-Geschichte einen Video-Look gibt, die Zeilen werden sichtbar. Nur was damit gewonnen wäre, politisch oder ästhetisch, will mir nicht einleuchten.


WALKOVER (Jerzy Skolimowski, Polen 1965)


Eine Kettenreaktion des Missverstehens. Jede Szene ein Schlag, ein Unfall, eine Verwechslung, keiner meint, was er sagt oder sagt, was er meint, aber alle nehmen diesen Hindernislauf seltsam leicht und nach einer Weile erkennt man die Ähnlichkeit mit dem Leben, das wir uns ja täglich reibungsloser und sinnfälliger erzählen, als es ist. Narrativer Free Jazz, solistisch, vielleicht auch: nihilistisch, jedenfalls nah an der Grenze zum Nichts.

05 Dezember, 2024

Zum Abschied vom Potsdamer Platz


Das Arsenal habe ich in der Welserstraße 25 kennengelernt. Der Potsdamer Platz blieb 24 Jahre lang „neu” und fühlt sich auch kurz vor Abschied nicht als der Ort an, an dem Idee und Kinopraxis mit dem Genius Loci zur Deckung gekommen sind. Insofern bleiben für mich vor allem Filme, oder besser gesagt: Vorführungen und Veranstaltungen. Ich war zwar nie so oft im Arsenal wie ich wollte – die im Programmheft markierten Filme kritisieren die wirklich gesehenen – aber die Zahl „merkwürdiger” Abende ist trotzdem sehr groß.

Ein besonderes Ereignis war für mich STATE LEGISLATURE, den ich 2007 im Arsenal gesehen habe, ein unvergesslicher Abend. Ausgerechnet am Beispiel USA den Glauben wiederzufinden an den demokratischen Prozess – das war schon damals unwahrscheinlich. Heute, nachdem Trumps gefürchtete Rückkehr zur deprimierenden Tatsache geworden ist, umso mehr. Aber dieses Wunder gelingt Wiseman, der hier einmal mehr gewitzter Zeuge komplexer Vorgänge ist. Einstellung für Einstellung baut er das Bild eines Parlaments als eine stellvertretende „Aufführung“ der Welt, in der geduldig Problemlagen vorgestellt und Handlungsmöglichkeiten vorgeschlagen werden. Dass diese Theatralisierung auch Helden(-darsteller) hervorbringt, ist keine Überraschung. Wisemans Everyman, der hier mit seinen Herausforderungen wächst und sich mit Bravur in die Rolle schickt, reiht sich ein in die großen Darsteller und Darstellungen amerikanischer Demokratie, auf Augenhöhe mit Henry Fonda in YOUNG MR LINCOLN (John Ford, 1939) und James Stewart in MR SMITH GOES TO WASHINGTON (Frank Capra, 1939).

Der amerikanische Regisseur, eine lebende Legende, ist an seinem Mythos nicht interessiert an diesem Abend. Oder jedenfalls will er nicht viele Worte machen. Ich kann ihn verstehen, der Film braucht seine Anwesenheit nicht, dennoch bedeutet sie mir etwas. Ich frage ihn, wie er seinen „Star” gefunden hat, wann er wusste, dass er die meiste Screentime bekommen wird. Er verweist zurück auf den Film, aber er ahnt, dass meine Frage Vorwand für eine Respektsbezeugung ist – und nimmt sie mit einem Lächeln an.



Geschrieben auf Einladung von Birgit Kohler, zum Abschied vom Potsdamer Platz. Ab Mitte Dezember 2024 wird das Arsenal voraussichtlich ein Jahr nomadisch unterwegs sein – ohne einen festen Kinosaal – bevor es Anfang 2026 im Silent Green neues Quartier bezieht.

29 November, 2024

Fragen und Antworten

Martine Carol in Max Ophüls' LOLA MONTEZ (D/F 1955).

German Films:
Welcher deutsche Film aus den letzten sieben Dekaden kommt Ihnen spontan in den Sinn, der Sie persönlich beeindruckt hat oder in Erinnerung geblieben ist – und warum?

Christoph Hochhäusler:
Wie wäre es mit LOLA MONTEZ von Max Ophüls (D/F 1955)? Beinahe so alt wie German Films, mit München-Bezug und vor allem visuell und erzählerisch immer noch zukunftsweisend.

Wie würden Sie den deutschen Film charakterisieren?

Das deutsche Gegenwartskino ist gut darin, Mittelwege zu gehen. Ein bisschen Kunst, ein bisschen Kommerz, niemandem wehtun. Das Ergebnis macht nur selten glücklich. Zu viele Filme werden nicht zu Ende entwickelt oder lauwarm produziert. Es mangelt nicht an Talenten und Ideen, aber an Intelligenz in der „Chancenverwertung”. Das müssen wir ändern.

Welche deutschen Filmemacher*innen haben Sie beeindruckt, vielleicht sogar beeinflusst oder sehen Sie signifikant für den deutschen Film?

Ernst Lubitsch, Max Ophüls und Fritz Lang sind ewige Favoriten für mich. Aber die Liste deutscher Filmemacher*innen, die mir wichtig sind, ist natürlich noch länger. Zu nennen wären (in der Reihenfolge ihres Geburtsjahrs) FW Murnau, Lotte Reiniger, Helmut Käutner, Konrad Wolf, Alexander Kluge, Frank Beyer, Roland Klick, RW Fassbinder, Dominik Graf, Thomas Heise, Christian Petzold, Thomas Arslan, Angela Schanelec, Romuald Karmakar, Valeska Grisebach, Jan Bonny u.v.a.

Als Ausblick: Was wünschen Sie sich für den deutschen Film?

Das deutsche Kino wird nur überleben, wenn es riskant, aufregend und dreist ist. Und zugleich – nur scheinbar im Widerspruch dazu – wenn es bereit ist, zu lernen, auf Erfolgen aufzubauen, Traditionen zu bilden.


Anlässlich ihres 70. Jubiläums hat German Films diese Fragen einer Reihe von deutschen Filmschaffenden geschickt, darunter auch mir. Meine Antworten stammen vom 21.07.2024.

Die Zufallsgärtnerei des deutschen Films

L’ARROSEUR ARROSÉ von Auguste und Louis Lumière, F 1895.


Es ist im Zusammenhang mit der deutschen Filmförderung oft die Rede von der „Gießkanne” gewesen, im Sinne einer beliebigen oder mindestens wenig zielgerichteten Verteilung des Fördergeldes. Mir gefällt an diesem Bild, dass es einen Garten impliziert. Ich will mir den Ort, an dem diese Gießkanne Dienst tut, für einen Augenblick genauer ausmalen. Das Wasser im Brunnen wären also (öffentliche) Gelder. Es gibt einen mehr oder weniger humusreichen Boden (unsere Geschichte und Gegenwart?), einen Zaun, angrenzende Gärten und Gebäude, einen Komposthaufen. Es gibt Gewächshäuser (Filmschulen?), saisonal blühende, aber auch immergrüne Pflanzen. Man könnte Bäume als Genres annehmen, Unkraut, das zwischen den Platten des Weges spriesst (die unerwünschten, ungeförderten Filme?) – bestimmt nicht weniger schön als die Zuchtrosen im Hochbeet, die irgendein Ungeziefer benagt, denn die Blüten fallen dürftig aus. Der Garten ist ein einziger Widerspruch. Hier ein gepflegter Fleck, dort Verwahrlosung, hier ein dreifach gesichertes Bäumchen, dort ein schöner alter Stamm, der brutal und ohne Sinn beschnitten wurde. Jedes Jahr gibt es an unverhoffter Stelle schöne Überraschungen, aber nie an der selben. Fragen drängen sich auf: was ist ein schöner Garten? Warum gibt es Zäune? Und ist das Gras beim Nachbarn nicht grüner?


Ein Bild aus Jacques Tatis MON ONCLE (F 1958)

25 November, 2024

Zahlenspiele

Wie viele Filme es insgesamt gibt oder gab, ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen. Die kursierenden Schätzungen liegen zum Teil sehr weit auseinander. Aber egal ob es 1 oder 7 Millionen Langfilme sind, nur ein Bruchteil zirkuliert in den „Auswertungskaskaden”, und nur der Bruchteil eines Bruchteils kann von einem Einzelnen im Laufe eines Lebens gesehen werden. 

Das macht jede Filmgeschichte zu einer subjektiven Angelegenheit. Sie ist notwendig eine Schnittmenge aus Verfügbarkeit, Gelegenheit, Neigung; abhängig von Zeit, Wohnort, finanziellen Möglichkeiten und verfügbarer Freizeit. Beeinflusst vom Erfolg an der Kinokasse, word-of-mouth, der Rechtslage, von Filmkritikern und filmhistorischer Kanonisierung, von so schwer zu fassenden Dingen wie Zeitgeist und Mode, die den Appetit auf bestimmte Formen oder Themen plötzlich hervorzubringen scheinen (oder ist es umgekehrt?). 

Das schon erwähnte Letterboxd eignet sich ganz gut dafür, die eigene Seherfahrung zu vermessen, wenn man sich die Mühe macht, das Profil mit den gesehenen Filmen zu füttern. Zwar ist es unwahrscheinlich, dass man so wirklich alle Filme erfasst, mit denen die eigene Netzhaut je in Berührung war, aber der bewusste Teil des Eisbergs ist zumindest ein Anfang. 

Ich komme aktuell (25.11.2024) auf 4558 Filme, die ich gesichert gesehen habe, ganz bestimmt keine astronomische Zahl (zum Vergleich: der Filmkritiker Lukas Foerster listet 16580). Ich habe spät angefangen mit dem Kino, nie einen Fernsehanschluss besessen, und war immer darauf bedacht, wichtige Seheindrücke nicht zu überschreiben. Das nur zur Einordnung. 

871 von den 4558 kann ich sehr empfehlen. Das sind unwahrscheinliche 19 % aller gelisteten Titel, jeder fünfte Film – was dafür spricht, dass der unter der Bewußtseinsoberfläche befindliche Teil des Eisbergs beträchtlich ist. 253 Filme habe ich als Meilensteine meiner persönlichen Filmgeschichte identifiziert, gute 5 %. Die Grenze ist einigermaßen willkürlich gezogen, aber ich wollte so etwas wie den Kern meines Pantheons finden. 

Die große Anzahl „respektabler“ Klassiker unter meinen Favoriten kann für Heuchelei halten wer will; als Spätberufener des Kinos habe ich den Vorwurf oft gehört, ich würde das Abseitige und Verfemte, Populäre und Unbewusste zu wenig würdigen. Ich kann nur sagen, dass ich versucht habe, ehrlich zu sein.  

Erhellend fand ich, die 871 für sehr gut befundenen Filme nach Dekaden zu sortieren. Da zeigen sich nämlich überraschende Unterschiede. Mit Abstand die meisten Filme stammen aus den 1960er (134), 1970er (124) und 1950er (113) Jahren, gefolgt von den 1980er (97), 1990er (86), 1940er (80und 2000er (79). Die Nachhut bilden die 1930er (60), 2010er (56), 1920er (27) usw. Dieses Muster wiederholt sich, wenn auch etwas weniger eindeutig, wenn man nur die aktuell 253 Meilensteine beleuchtet. 


Von den Filmen aus den Dekaden 30-70 hat mir in etwa jeder dritte Film gefallen, von den Filmen der 80er nur noch jeder fünfte, von den Filmen der folgenden Dekaden nur jeder 10.-12. Die Wahrscheinlichkeit, dass mir ein Film aus den 30ern bis 70ern gefällt, scheint also ungefähr 3,5 mal so hoch wie bei einem Film aus den 1990er bis 2010er Jahren. 
Wie soll man diese Zahlen interpretieren? Ist es der Niedergang des Kinos, der sich hier zeigt? Das Ergebnis hat mit Verfügbarkeiten zu tun, so viel ist sicher. Zum Teil zeigen sich Vorlieben und auch so etwas wie der „Horizont” meiner Generation. Womöglich lässt sich auch ein positiver Effekt der Kanonisierung (im Sinne eines Qualitätsfilters) nachweisen? So oder so, es ist nur eine Momentaufnahme, mit einer angesichts der Gesamtzahl aller Filme statistisch nicht relevanten Zahlenbasis...

30 Oktober, 2024

„Der Tod wird kommen” @ 14 Films (Berlin Premiere)


Ich freue mich, dass mein Film DER TOD WIRD KOMMEN seine Berliner Premiere bei Around The World in 14 Films erleben wird, der unentbehrlichen, jährlichen Festivalauslese,


Außerdem gibt es Vorstellungen in
Köln 
am Sonntag, den 15.12.2024, 17.30 h in den Odeon Kinos.
Nürnberg 
am Samstag, den 04.01.2024, 18.00 h im Filmhaus.

P.S.: Auch der reguläre Kinostart steht inzwischen fest: W-Film wird den Film am 8. Mai 2025 in die deutschen Kinos bringen. Mehr dazu demnächst.