(1)
Die Fernsehredakteurin, die mir nach Lektüre des Drehbuchs ganz ernst und besorgt abrät, den Beruf weiterzuverfolgen, wegen „Mangels an filmischer Fantasie”.
(2)
Die Förderreferentin, die mich auf unserer improvisierten Premierenparty in Cannes zu sich winkt – ich muss mich tief zu ihr herabbeugen –, um mir zu sagen, dass mein Film „Scheiße” sei.
(3)
Der Verbandsfunktionär, der mir sagt, die Franzosen liebten meine Filme, weil sie bewiesen, was die Franzosen schon immer glaubten: „dass wir Deutsche keine Filme machen können.“
(4)
Der Branchenmensch, der mir Wasser ins Gesicht schüttet, nachdem er mich (zu meiner Begleitung) sagen hörte, die Deutschen würden Filmindustrie nur spielen.
(5)
Der Radiomoderator, der mich fragt, warum ich es „als Deutscher” den Leuten mit meinem Film so schwer machen wolle, gerade als die Welt anfange zu akzeptieren, dass wir auch „locker” sein können.
(6)
Die Journalistin, die mir vor dem Interview „der Ehrlichkeit halber” sagt, dass sie alle meine Filme gehasst habe, und nur wegen des Schauspielers hier sei.
(7)
Die Zuschauerin, die nach der Premiere meines ersten Filmes aufsteht und schreit: „Warum tun Sie uns das an?”
(8)
Der in der Branche gescheiterte Dozent, der zu uns versammelten Studenten sagt: „Glaubt bloss nicht, ihr schafft es.”
(9)
Der berühmte Produzent, der mir, nachdem er meinen Namen gehört hat, die schon gegebene Hand entreißt und sich eilig entfernt.
(10)
Der Festivalleiter, der nach einer kritischen Frage aus dem Publikum sagt, man müsse bedenken, dass das mein erster Film sei und der nächste vielleicht besser werde.
(11)
Ein Filmpreiskommittee, das uns anreisen lässt, um einen Preis entgegenzunehmen. An der Sitzordnung merken wir, dass die Entscheidung revidiert wurde.
(12)
Die Dolmetscherin, die mich mitten im Satz unterbricht, um zu sagen, dass sie meinen Film nicht gesehen habe, aber dass sie ihn auch nicht sehen wolle.
(13)
Der weltberühmte Filmwissenschaftler, der mir ungefragt verrät, dass er über meine Filme nicht schreiben werde, weil sich die Analyse nicht lohne.
(Geschrieben 2016)
Nachtrag 2023:
Ich hab’s nicht kommen sehen: Der Film war gerade zu Ende, im vollen Saal herrschte gute Stimmung, die Schauspieler und Mitarbeiter reihten sich gerade vor dem Vorhang auf, als der Kinoleiter das Mikrofon aktivierte. Er sei ja „als Verleiher schwieriger Filme“ bekannt, begann er, „deshalb“ wäre ihm unser Film im Vorfeld angeboten worden. Aber er hätte ihn „ganz schrecklich“ gefunden und also - abgelehnt. Betretenes Schweigen. Den Film habe er allerdings „nur auf dem Computer“ gesehen, schob er nach. Dann machte er einen seltsamen Sprung und fing an, über „das Vorbild Tatort“ zu sprechen und ob es meine Absicht gewesen sei, „Schimanski mit weniger Licht” zu machen? Wir waren aus Fremdscham schon halb im Boden versunken, als uns das Publikum erlöste, lautstark gegen die Moderation protestierte, und den Film in Schutz nahm. Später suchte der Mann, ein gekühltes Getränk in der Hand, meine Nähe. Anstatt sich zu entschuldigen, hatte er die Chuzpe, mir zu sagen, wie „schön es gewesen sei, dass das Publikum meinen Film verteidigt” habe. Only in Germany!
Der gelegentliche Blogleser, der sich denkt, ja, genauso fremd und seltsam ist die Welt.
AntwortenLöschenManche dieser Szenen würde ich selbst gerne in Zeitlupe sehen, um sie besser zu verstehen.
LöschenMan sollte einfach stoisch denken: Naja, könnte ich ja noch mal für einen Film verwenden, die Reaktion von dem/der. Danke für das Material.
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